AfD-Schock | Die Gemütlichkeit ist vorbei
TSBN | 15. März 2016 Alle überschlagen sich. Sie analysieren, diskutieren, bewerten. Medien, Parteien, Bürger. Montagfrüh dieser Woche war das Abschneiden der AfD in vielen Betrieben, auf Baustellen, in Bussen und Bahnen das wichtigste Thema. Selbst in Familien wird darüber gesprochen oder gestritten. Was kaum geschieht: Nüchterne Berichterstattung über die Thesen der Rechtsradikalen, und das ist grundfalsch.Wie sie sich wieder in Ritualen ergangen haben, am Wahlsonntag. Die CDU in Baden-Württemberg bringt eine „Deutschland-Koalition“ ins Spiel. Von der will die SPD nichts wissen, warum sollte sie auch? Der beauftragte grüne Ministerpräsident versteht das Ansinnen der Konservativen nicht, wie sollte er auch? Die rheinland-pfälzische CDU-Frontfrau Klöckner erklärt allen Ernstes, wenigstens eines sei ihnen gelungen: rot-grün habe keine Mehrheit mehr. Ganz so, also ob das tatsächlich ihre Leistung gewesen sei.
Warum, um alles in der Welt, sagt nicht einfach Frau Klöcker so etwas wie „Wir haben es vergeigt“ oder besser noch „Ich war es.“ Warum, herrgottnochmal, sagt der CDU-Spitzenmann in Stuttgart nicht einfach: „Der Kretschmann hat’s geschafft, mich wollten die Leute nicht. Ich akzeptiere das.“ Das wäre mal eine ziemlich gute Nummer. Und der Herr Bütikofer von den Grünen lässt am Montagabend über Twitter Häme verlauten angesichts der SPD-Absage an die CDU in Baden-Württemberg. Viele derer, die sich seit Jahren im Politikbetrieb tummeln, haben den rechten Schuss offenbar immer noch nicht gehört. Die gemütliche Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Zeugs sollte aber zunächst einmal Geschichte sein. Dass der CSU-Chef ohnehin immer alles besser weiß ist nicht von besonderem Belang.
Die Verteidigungsministerin im Angriffsmodus
Einzige Lichtblicke am Sonntagabend gab es in der Gesprächsrunde bei Anne Will. Da saß eine Verteidigungsministerin, wie man sie angriffslustiger selten erlebt hat. Sie bot der „auf-Flüchtlinge-ruhig-auch-mal-schießen“-Frau von der AfD akzentuiert Paroli. Sie tat es, indem sie schlicht und ergreifend aus AfD-Wahlprogrammen zitierte. Das wirkte unglaublich. „Da muss man einfach mal reingucken,“ empfahl sie dem Publikum und nannte die AfD eine „junge Partei mit uralten Antworten„. Da saß auch der grüne Umweltminister Robert Habeck aus Schleswig-Holstein. Der hat ja immerhin die Ambition, grüner Spitzenkandidat für die nächsten Bundestagswahlen zu werden. Was die AfD mache, das sei so, als ob die „Grünen ständig darauf warteten, dass ein Atomkraftwerk in die Luft“ fliege, damit es ihnen als Partei besser gehe. Schnörkellos auf den Punkt gebracht, was Populismus bedeutet.
Was in den sozialen Netzwerken abgeht, spottet ja allzu oft jeder seriösen Beschreibung. Da wird Gift und Galle gespuckt, übrigens nicht nur von der rechtsradikalen Seite. Kopf- und gesichtslose Menschen speien sich auf offener Bühne ins Gesicht. Wenn das Rechtsextreme tun, könnte man solchem Verhalten noch eine gewisse Logik abgewinnen. Schließlich fühlen sie sich meist nur in der Gruppe stark. Aber Demokraten? Leute, denen die Freiheit und der Diskurs wichtig ist? Sie sollten ihr Gesicht zeigen, das Visier unten lassen. Nüchterne Widerlegung dessen, was es an zahllosen inneren Widersprüchen bei der AfD gibt, das ist die schärfste Waffe gegen „rechts“.
Soziale Netzwerke oft unerträglich aggressiv
Ein Beispiel für „aufklärerische“ Arbeit ist der Twitter-Account @NEIN zur AFD. Auch, wenn er oft recht polemisch daherkommt: Er hat dennoch interessante Tipps, zeigt Links zu Informationen und wertet naturgemäß. Die größte Schärfe bringen dort und in andere Accounts vor allem Dritte ein. Dabei wäre es wichtig, auch solche Personen für die AfD-Bekämpfung zu gewinnen, die sich bisher unsicher sind. Solche, die „irgendwie dagegen“ sind, aber ungeübt in der politischen Auseinandersetzung. Denen hilft man sicherlich nicht mit Zynismus oder beißender Ironie, sondern eher mit sachlichen Argumenten, gut aufbereitet und zur Entlarvung der Lügner und Hetzer geeignet. AfD-Watch oder das Netz gegen Nazis sind ebenfalls geeignete Quellen zum Kampf gegen die Extremisten auf der rechten Seite.
AfD nackt machen: Weiter geht’s
Nein, es ist nicht 1933. Aber es sind Tendenzen erkennbar, die beunruhigen und auch beängstigen. Damit es nicht zu einem erneuten Triumph für die neuen Nazis kommen kann, sollten wir der Gemütlichkeit für eine gewisse (Kampf)Zeit adé sagen. Oder, wie es in Köln vor mehr als zwei Jahrzehnten einmal ausgedrückt hat: „Arsch hu, Zäng usenander!“ Der Latte bleibt jetzt stehen, stattdessen werden die Kampfklamotten angezogen; friedlich selbstverständlich und nur verbal. Das Engagement der Willkommenskultur existiert ja immer noch, hunderttausendfach. Das ist gut so. Was fehlt ist parteipolitisches Engagement. Kaum jemand will noch in Parteien, weil die meisten das Berliner Beispiel sehen und glauben, das sei Politik.
Tatsächlich beginnt Politik in der Nachbarschaft, in den Dörfern und Gemeinden, im Kiez und im Kreis. Kompromissbereitschaft gehört zu den Wesenselementen einer Demokratie. Daher sollten sich politisch denkende Menschen prüfen, ob sie sich nicht auch innerhalb einer Partei engagieren. Das ist hart manchmal, anstrengend und oft auch mit vielen Formalien verbunden. Dennoch kann eine aufgeklärte Schicht nur dann der AfD die Stirn bieten, wenn sie sich selbst bündelt und organisiert. Und den Parteien dabei helfen, die AfD bloßzustellen. Schwer ist das nicht, nur tun muss man es halt.
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