1. Mai | Globalisierungsopfer zählen nicht
ToS | 29. April 2016 1886 kämpften auf dem Chicagoer Heumarkt Arbeiter für den Acht-Stunden-Tag. Generalstreik, Hunderttausende gingen im ganzen Landauf die Straße. Seitdem gibt es den 1. Mai als „Tag der Arbeit“. Am Sonntag werden wieder Tausende auf die Straßen gehen. Sie stellen Forderungen. Das ist legitim. Vor allem aber für sich selbst. Vom internationalen Kampf ist nicht die Rede. Dabei wäre er bitter nötig.
Sie werden wieder marschieren, die Kämpfer für die Rechte der Arbeiter. Seit’ an Seit’ und zum Wohle des Proletariats. Die Internationale der Arbeiterrechte flimmert dann wieder durch die Nachrichten; on- und offline, im Fernsehen, in der Zeitung oder im Netz. Aber kämpfen sie wirklich international? Zweifel sind angebracht.
In Frankreich demonstrieren derzeit Abertausende gegen die sozialistische Regierung Holland. Der will Reformen im Arbeitsmarkt. Die Gewerkschaften sind dagegen. Ebenfalls legitim. Um diese Demonstrationsfreiheit beneiden uns Europäer viele rund um den Globus. Dafür haben auf diesem Kontinent – und anderswo – Menschen ihr Leben gelassen. Also ist nicht der Protest in Frankreich zu kritisieren. Schon gar nicht, wenn fast ein Viertel aller französischen Jugendlichen ohne Arbeit sind. Indes, international sieht alles noch weit problematischer aus.
BOSS oder KiK: kaum ein Unterschied in der Produktion
Mancher Demonstrant dürfte am Sonntag T-Shirts, Hemden und Hosen tragen, die in Bangladesch gefertigt wurden. Unter den grauenhaftesten Bedingungen. Die Firmen, in deren klimatisierten Geschäften wir unsere Klamotten kaufen, haben sie dort in Auftrag gegeben. Die Auftragnehmer vor Ort geben den Job an Subunternehmer weiter. Und diese an einen Sub-Sub-Unternehmer. Mit jedem einzelnen verschlechtern sich die Bedingungen, unter denen die Shirts, Hosen oder Kleider produziert werden. Die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich übrigens kaum; ob nun für KiK oder für BOSS produziert wird. Sie sind nur bei uns eher billig oder eben teurer.
Auf der Homepage des Deutschen Gewerkschaftsbundes muss man lange scrollen und suchen, bis man auf Bangladesch stößt. Die letzte hier verbreitete Äußerung des DGB-Chefs Reiner Hofmann ist fast ein ganzes Jahr alt. So sieht also beim DGB „internationale Solidarität“ aus. Gut, dass die Gewerkschaften dem braunen Mob hierzulande ihre rote Karte zeigen und sich für Flüchtlinge stark machen. Aber die letzte, direkt mit Bangladesch verbundene Meldung auf der DGB-Homepage, stammt aus dem Oktober 2014. Das ist ein Skandal.
Die „Internationale“ gibt es auch am 1. Mai nicht mehr
Es ist für die schlecht ausgestatteten Gewerkschaften in diesem Land kaum möglich, sich gegen die finanzmächtigen und oft skrupellosen Konzernführungen durchzusetzen. Mitunter werden sie nicht einmal gehört. Was wäre, wenn der Chef eines so starken Gewerkschaftsbundes wie dem aus Deutschland nach Bangladesch führe? Nichts würde sich sofort ändern; das ist klar. Aber was, wenn er wenigstens einmal im Jahr solche Besuche absolvierte? Was, wenn er seine europäischen Kollegen dazu aufriefe, es ihm nachzutun? Nichts dergleichen ist zu sehen. Die „Internationale“ gibt es stattdessen in den Managementetagen multinationaler Konzerne. Die sind effizienter organisiert und deutlich stärker in der Kommunikation. So wird keine Waffengleichheit hergestellt.
Eine Schande für die Gewerkschaften
Gewiss, viel Arbeit ist für Gewerkschaften zu leisten. Es geht auch hierzulande um bessere Bedingungen für Arbeiter, Angestellte, für Jugendliche und besonders für Frauen. Das bestreitet niemand. Und ja: ein Vergleich zwischen Deutschland und Bangladesch geht den meisten nicht in den Kopf. Trotz des Bildes vom „globalen Dorf“. Bleiben wir also realistisch, wenn es ums Kämpfen geht. Aber nicht einmal das bisschen systematischen Kampfes gegen Ausbeutung und Hungerlöhne scheint zu gehen. Nicht einmal für Leute, die unsere Klamotten nähen und trotzdem in Slums wohnen müssen.
Das ist eine Schande, auch für die deutschen Gewerkschaften. Und ganz besonders am 1. Mai.
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