Afrika: Die Würde beim Wasser trinken © Tom Rübenach

Afrika | Schlimmste Hungersnot seit 30 Jahren

Der AfD-Parteitag ist Geschichte. Der türkische Ministerpräsident hat seinen Rücktritt angekündigt. Die Flüchtlingszahlen gehen zurück. Und heute ist Jahrestag des Kriegsendes 1945. Und sonst? War sonst noch was? Ach ja, Äthiopien. Dort herrscht eine Hungersnot; so schlimm wie seit fast dreißig Jahren nicht mehr.

ToS | 8. Mai 2016 Wir diskutieren die „Flüchtlingskrise“ und die „Griechenlandkrise“ und die „Eurokrise“. Wir freuen uns mit Papst Franziskus über den Karlspreis, den er bekommen hat. Wir sind gebannt, wenn wir die Bilder der Waldbrände in Kanada in Fernsehen und Internet verfolgen. Bayern ist Meister. Und Spanien bestreitet das Championsleague-Finale unter sich. Gestern war zwischen Bonn und Linz „Rhein in Flammen“. Feuerwerke, Partyschiffe und Konzerte weit und breit. Oh, etwas wichtiges bliebe beinahe unerwähnt: der 500-Euro-Schein wird eingestampft. Noch nicht sofort, aber in den kommenden Jahren. Ein Aufschrei geht durchs Land. Nicht nur von denen, die von diesem recht seltenen Exemplar viele besitzen. Auch viele andere, die schon das Ende des Bargeldes kommen sehen. Schlimme Sache!

Wir setzen unsere Themen selbst

Interessiert uns nicht: Afrika und Äthiopien © twitter Screenshot
Interessiert nicht: Äthiopien
© twitter Screenshot

Man könnte jetzt fragen: warum um alles in der Welt sollen wir uns mit Hungerthemen beschäftigen? Die finden – mit dem Auto gefahren – über 8000 Kilometer entfernt statt. Oder: Was haben wir überhaupt mit Äthiopien zu tun? Hinweise auf solche Katastrophen mobilisieren eher Abwehrreflexe, weil man sich irgendwie unwohl, mitunter gar schuldig fühlt. Das wird dann selbstschützend verdrängt. Am besten, man hat gar nichts mit so etwas zu tun. Wir setzen unsere Themen selbst. Wir blättern weiter, wenn uns etwas irritiert. Wir huschen über bestimmte Informationen hinweg. Wir beherrschen das federleichte Ignorieren. Mehr noch: Wir buchstabieren längst ganz öffentlich, was wir von bestimmten Vokalen halten.

Andreas D. ist so jemand, der sein Leben buchstabiert. Er tut es nicht nur für sich, sondern in aller Öffentlichkeit, sozusagen für die ganze Welt. Er ist, wie er schreibt, „begeistert von seiner Familie, der Feuerwehr und unserem Hund!“. Das Ausrufezeichen hat er selbst gesetzt. Er folgt auch der Tagesschau auf Twitter, wie so viele. Dort hat er von der Hungersnot am Horn von Afrika nichts mitbekommen. Konnte er auch nicht. Denn die hatte es immer noch nicht gemeldet, als er die Woche einkaufen war. In einem Tweet vergangenen Freitag schrieb er:

Twitter post Hungersnot am 7. Mai 2016.png
Twitter post Hungersnot am 7. Mai 2016.png

„Stehe gerade in der #Edeka welche #Hungersnot oder welche #Weltuntergangstheorie habe ich verpasst? #einkaufen“ (siehe Screenshot rechts)

Wir haben sein Gesicht und seinen Namen verfremdet, obschon er beides selbst öffentlich gemacht hat. Wir wollten ihm so viel eigenen Zynismus nicht auch noch um die Ohren hauen. Bashing ist nicht unser Ding. Wir haben diesen Tweet auch nur deswegen gefunden, weil wir nach mehr Informationen zur Nahrungskrise in Äthiopien gesucht haben. War nix.

Hungersnot ist nicht das Thema

Das Publikum beschäftigt sich mit seinen eigenen Dingen. Es ist natürlich okay, dies zu tun. Der Autor macht das selbstverständlich auch. Das muss jeder und jede und jedes. Das haben wir Menschen tief drin in uns. Wer wollte das – an sich – kritisieren? Tut niemand, auch in diesem Artikel nicht. Was zu kritisieren ist, dass zu viele Leute sich selbst zu enge Grenzen setzen. Wer sich anschaut, was im Netz abgefragt, angesehen und kommentiert wird, muss klaustrophobische Zustände bekommen. Einmal die Seite anklicken und man versteht. Google hat mit seinem Angebot Trends das richtige Werkzeug im Angebot, um zu sehen, was wahrgenommen wird. Jeder möge dort selbst einmal recherchieren. Erstaunlich, welche Themen einfach nicht gelesen, geklickt – kurz: wahrgenommen werden.

Schon vor einem Vierteljahr gab es Berichte im Spiegel über die Trockenheit in Äthiopien, die schlimmer sei als 1986. Die Welthungerhilfe sprach davon, dass zehn Millionen Menschen dort von „extremem Hunger“ bedroht seien. Die Mehrheit des Publikums aber will davon nichts wissen. Es ist mit Einkaufen im EDEKA und andernorts beschäftigt. Und die AfD mit dem Leugnen des Klimawandels. Dabei ist ein Grund für die Lage in Ost- als auch im südlichen Afrika das Wetterphänomen El Niño. Alle zwei bis sieben Jahre erscheint es wieder auf der Bildfläche. Jetzt gerade tobt es sich aus wie ganz lange nicht mehr. Wir aber wollen diese Informationen nicht um uns herum haben. Das ist alles viel zu unangenehm. Und zum Glück ist es weit weg. Wir spenden Abermillionen, wir Deutsche. Auch darin sind wir Weltmeister. Zu nahe sollten uns derart brutale Nachrichten gleichwohl nicht kommen.

Kein Wasser, keine Nahrung, Hungersnot in Ostafrika © Tom Rübenach
Kein Wasser, keine Nahrung © Tom Rübenach

Christliches Abendland, ja oder nein

Wir haben den Klimawandel fabriziert (mit Fabriken und Autos und Industrie). Wir beuten selbst die Landwirtschaft in Afrika aus (EU-Subventionen vernichten dort Arbeitsplätze). Wir wollen Kaffee und Schokolade und Klamotten immer ganz billig haben (ergo: Ausbeutung in der Dritten Welt). Wir stinken fast vor lauter Wohlstand (im Großen und Ganzen). „Wir lassen sie verhungern“ betitelte Jean Ziegler eines seiner vielen lesenswerten Bücher. Tun wir. Ist so.

Setzen wir auch andere Themen, nicht nur unsere eigenen. Nicht nur Bayern und „Rhein in Flammen“ und EDEKA. In Leserbriefen, persönlichen Gesprächen oder Kommentaren auf dieser Seite. Machen wir mit bei einer Partei, die sich um solche Fragen wie Hungersnöte und deren Bekämpfung kümmert. Wenn es das christliche Abendland wirklich geben sollte, dann ist es nicht einmal eine Möglichkeit. Es ist eine Pflicht, zu handeln.

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