Die Großmutter lädt mich zu Eid ein © Tom Rübenach

Eid | Slum-Begegnung vor dem Opferfest in Dhaka

Oft war ich in Slums in den Megastädten, die ich in Asien oder Afrika besucht habe. Dort herrschen nicht allein blanke Armut; es gibt ebenso Selbstbewusstsein, Solidarität und sogar die Freude am Leben. Auch habe ich Ramadan in Asien und Afrika einige Male erlebt. Einmal, 2011, war ich einen Tag vor dessen Ende in einem Slum in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Es war Opferfest – oder Eid. Dort habe ich erlebt, was der Islam tatsächlich für die allermeisten Muslime bedeutet: Gastfreundschaft, Teilen, Herzlichkeit. Diese Erinnerung möchte ich hier teilen.

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Slum-Begegnung einen Tag vor Eid

Den ganzen Tag über ist es furchtbar heiß, sicher um die fünfunddreißig Grad, vielleicht  sogar mehr. Heute Mittag bin ich aus Rangpur zurückgekommen. Rangpur liegt knapp 300 Kilometer von Dhaka entfernt; man braucht mitunter sieben oder acht Stunden mit dem Auto. Ich schwitze wie noch selten zuvor. Meine dünnen Haare kleben auf dem Kopf und mein Hemd am Körper. Es ist dieses extrem feuchte Klima, das wir bei uns zu Hause nicht kennen. “Das ist eben diese hohe Luftfeuchtigkeit,” zwinkert mir mein Freund Amit zu, der in Bangladesch lebt und das alles natürlich gewohnt ist. „Sowas kennt Ihr nicht, wie?“ Er macht sich gern über mich lustig wie ich mich auch über ihn; wir lachen viel zusammen.

 

Wer sich zuhause ernähren kann, zieht nicht nach Dhaka © Tom Rübenach
Wer sich zuhause ernähren kann, zieht nicht nach Dhaka © Tom Rübenach

 

Amit begleitet mich, um mir zu übersetzen, wenn ich mich mit den Bangladeshis unterhalten möchte. Da bin ich also gerade: in Bangladesch, genauer gesagt in der Hauptstadt Dhaka. Nicht nur hier, auch im Land herrscht weithin bittere Armut. Ein paar Mal schon war ich in Slums gewesen: in Delhi, in Nairobi – und jetzt  hier auf dem Weg mitten hinein in einen der vielen Slums. Es riecht überall nach Dreck. Kanalisation: Fehlanzeige. Darum kümmert sich niemand von der Stadtverwaltung.

Muslime, Hindus und Christen

Rechts und links der Gassen fließen schwerfällige, dunkle, fast schwarze Flüssigkeiten. Sie sind übersät von Papieren, Plastik und nicht zu identifizierendem anderen Müll. Das ist Teil jener Realität, mit der die Leute hier schon immer leben mussten und immer noch leben. Ich gehe in die Hocke und sehe mir die Brühe etwas näher an. Fragend schaue ich zu Amit hoch, der mich die ganze Zeit beobachtet hat. “So ist das hier. Es gibt halt keine Regelung für das Abwasser.” “Es gibt gar keine Kanalisation? Nichts?”, frage ich. “Nein,” sagt Amit lapidar. Er hakt sich kurz unter, um mich tiefer in die Gassen des Slums hinein zu ziehen.

Amit begleitet mich im Slum von Dhaka © Tom Rübenach
Amit begleitet mich im Slum von Dhaka © Tom Rübenach

 

Amit ist Hindu. Die meisten Bangladeshis sind Muslime, weit über 90%. Aber die Mehrheit von ihnen hat kein Problem mit Hindus oder Christen in ihrem Land. Den Hinduismus gibt es über 3000 Jahre. Die Leute aber, die im Slum leben, sind zu 99,9% Muslime. Und heute ist der Tag vor dem höchsten muslimischen Feiertag, dem Opferfest, auch Eid genannt. Das Fasten wird gebrochen. Es wird zum Höhepunkt des Haddsch gefeiert, der Pilgerfahrt nach Mekka. Bei Wikipedia wird das so erklärt: Beim Opferfest wird des Propheten Ibrahim gedacht, der nach muslimischer Überlieferung die göttliche Probe bestanden hatte und bereit war, seinen Sohn Ismael Allah zu opfern.

 

Als Allah seine Bereitschaft und sein Gottvertrauen sah, gebot er ihm Einhalt. Ibrahim und Ismail opferten daraufhin voller Dankbarkeit im Kreis von Freunden und Bedürftigen einen Widder. Die Geschichte wird im Koran in Sure 37,99–113 erzählt. In der Bibel ist es die Erzählung von der Opferung Isaaks (Gen 22,1–19 EU).

Eid oder nicht: Gastfreundschaft ist überall

Die Armen können sich natürlich nicht leisten, ein Tier zum Schlachten zu kaufen. Statt dessen gehen sie am Tag des Opferfestes von Haus zu Haus, und dann bitten sie die Reichen, ihnen etwas Fleisch abzugeben. So können dann auch sie das Opferfest feiern.

 

Amit bringt mich zur Hütte einer Familie im Slum und stellt mich allen vor. “Das ist Thomas, er kommt aus Deutschland. Er will gerne sehen, wie Ihr hier lebt und wie es Euch geht,” erklärt er. Sofort wird mir ein Platz angeboten. Ich setze mich auf die Kante eines großen Bettes, in dem nachts die Großmutter, die Mutter, der Vater und drei Kinder gemeinsam schlafen. Gleich neben dem Bett stehen ein kleiner Schrank mit Blechtöpfen und ein paar Becher. Und Besteck. Ein paar Bilder von zu Hause hängen oder stehen dort, mit ihren Familien und aus ihren Dörfern. Denn die allermeisten sind nur deshalb nach Dhaka gekommen, weil es in ihrer Heimat keine Arbeit für sie gibt. Und weil so viele nach Dhaka kamen und kommen, ist es längst zu einer der größten Megastädte der Welt geworden. Hier leben mittlerweile 15 oder 16 Millionen Menschen.

Eine Tonne statt einer Waschmaschine © Tom Rübenach
Eine Tonne statt einer Waschmaschine © Tom Rübenach

 

Die Familie, zu der mich Amit gebracht hat, bietet mir etwas zu trinken an. “Mögen Sie Wasser oder einen Tee? Wir machen Ihnen gern einen Tee,” sagen sie fast alle gleichzeitig. Amit erklärte, dass wir nicht so viel Zeit hätten und bald wieder zurück müssten. Das ist eigentlich sehr unhöflich. Wenn man in Bangladesch etwas angeboten bekommt, muss man es annehmen, sonst fühlen sich die Menschen verletzt. Aber sie verstehen, dass Amit und ich nicht allzu viel Zeit mitbringen, zumal es langsam dunkel wird. Und Straßenbeleuchtung im Slum ist wie Kanalisation einfach nicht vorhanden. Selbst die Stromversorgung für die Hütten, in denen die Menschen leben, ist nicht immer gewährleistet.

Gelebter Islam, geteiltes Leben

Gerade wollen wir gehen, da meldet sich die die Großmutter, die vor dem Bett steht, neben ihr eines der Kinder: “Morgen ist doch das Opferfest.” Sie lächelt. “Wir bekommen bestimmt etwas Fleisch am Nachmittag. Kommen Sie doch morgen wieder zu uns!” Der Vater ergänzt: “Sehen Sie: Das Schönste für uns ist, wenn wir unser Essen teilen können. Und wir würden uns wirklich sehr freuen, wenn Sie unser Gast sein würden.”

 

Kinder im Norden, in der Region Rangpur © Tom Rübenach
Kinder im Norden, in der Region Rangpur © Tom Rübenach

 

Ich bin überwältigt. Diese Menschen hatten mich als Christen gerade zum wichtigsten muslimischen Fest des Jahres eingeladen: zum Opferfest der Muslime, zu Eid. Es sind Menschen im Slum, die am Rand einer Gasse leben müssen, in der es nicht einmal eine vernünftige Kanalisation gibt. Und Strom nur unregelmäßig. Und in der die Kinder meist schmutzige Sachen tragen müssen, weil sie von einer Waschmaschine nicht einmal träumen und die kein fließendes Wasser haben. Und nur wenige haben ein Handy; einen Computer hat hier niemand. Von diesen Menschen kann ich ziemlich viel lernen. Über das Teilen, über Gastfreundschaft und über Großzügigkeit. Ich nehme mir vor, das ich davon erzählen werde, wenn ich wieder zu Hause bin. Und auch, dass ich versuchen werde, etwas bescheidener zu werden. Vielleicht auch, mehr zu teilen. Und dass ich dankbarer werde als ich es bis heute bin.

 

Eigenartig, dass arme Menschen oft viel großzügiger sind als die reichen.

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