Junge im Tschad, Nachbar Afrika © Tom Rübenach

Fluchtursachen | Unser Nachbar Afrika

TS|BN 13. Oktober 2016 Es gibt viele Fluchtursachen; dahinter ist inzwischen jeder gekommen. Vor allem bedeutet Fluchtursache nicht, dass die Flüchtlinge einfach irgendwo festsitzen. Das sind mögliche Gründe für eine weitere Flucht. Die Ursachen sind ganz andere. In Syrien ist es der Krieg. In Asien sind es grauenhafte Arbeits- und Lebensbedingungen. In Afrika haben sie nicht mal genug zu essen; geschweige denn Bildung, sauberes Wasser oder fairen Handel, von dem die Leute leben könnten.

Die falschen Betonungen – und sei es nur in einem einzigen Wort – kann zu falschen Fragestellungen führen. Und damit folgerichtig zu ebenso falschen Schlussfolgerungen. Gründe sind eben keine Ursachen; letztere liegen tiefer.

Lange bevor die Menschen im Mittelmeer massenhaft ums Leben kamen, habe ich diesen Artikel geschrieben. Das ist erst – oder schon – zwei, drei Jahre her. In diesen Wochen nun wird plötzlich wieder darüber diskutiert, dass viele Menschen sich aus Afrika auf die Flucht Richtung Europa begäben. Überraschend ist das nicht im „Globalen Dorf“. Und sogar die Kanzlerin hat Afrika entdeckt. So sehr, dass sie sogar hingeflogen ist. Dieser Tage ist mir der alte Text wieder in die Finger gefallen. Hier ist er.

„Afrika! Afrika!“ so war der Name des Showprogramm des österreichischen Künstlers André Heller vor einigen Jahren. Es war überwältigend. Die Medien haben sich überschlagen vor Begeisterung. Das Publikum riss sich um die Karten und rannte in die Vorstellungen. Angeblich vier Millionen Menschen haben sich an diesem Tanz- und Akrobatikspektakel ergötzt, weltweit. Ob es auch in Bautzen Station gemacht hat, oder in Freiberg – das entzieht sich meiner Kenntnis.

Afrika ist unser Nachbar

Wir sollten alle inzwischen begriffen haben, das Globalisierung nichts mit einem Brettspiel oder den Gedanken vergeistigter Wissenschaftler zu tun hat. Das „globale Dorf“ hat es ja schon immer gegeben. Der Unterschied zu heute ist, dass wir es – sehr viele zum ersten Mal – wirklich wahrnehmen. Das Lieblingsargument der Rassisten lautet: „Wir können nicht die Probleme von ganz Afrika bei uns lösen.“ Wer würde dem nicht zustimmen können? Das ist vermutlich wirklich nicht möglich. Abgesehen von einer genauen Überprüfung dieser Behauptung: was wir vor allem nicht sollten ist, die Problem des Kontinents wegschieben. Denn schließlich haben wir sie entscheidend mit verursacht.

Afrika ist unser Nachbarkontinent, welch euphemistischer Ausdruck. Es verschleiert die Realität. In Wirklichkeit ist Afrika ganz weit weg, für die meisten ein totales terra incognita. Dabei ist der kürzeste Weg zwischen Europa und Afrika nicht einmal fünfzehn Kilometer lang. Durch die Meerenge von Gibraltar würde man mit einem durchschnittlichen Motorboot vermutlich nicht einmal eine halbe Stunde benötigen. Das ist weitaus kürzere Reise als mit dem Boot von Festlandeuropa nach Großbritannien. Also sind uns die Afrikaner vielleicht doch näher als die Briten? Mitnichten.

Ein Mädchen aus dem Tschad vom Nachbar Aftrika © Tom Rübenach
Ein Mädchen aus dem Tschad © Tom Rübenach

Reichen Ländern sind die meisten Fluchtursachen gleichgültig

Nachbarn sind uns die Afrikaner allenfalls physikalisch. Auf die Gefahr hin, Stereotypen zu bemühen: Ein Blick auf das Handeln der reichsten europäischen Staaten belegt uneindrucksvoll, dass grundsätzlich ökonomische Interessen kalt über die Menschenwürde gestellt werden. Dabei ist die Welt – auch dies ein längst abgenutztes und mithin wirkungsloses Wort – nur noch als globales Dorf denkbar. Während in deutschen Gemeinden, auch Pfarrgemeinden, gegenseitige Achtsamkeit und nachbarschaftliche Hilfe selbstverständlich sind, gilt dies im globalen Kontext ganz offensichtlich nicht.

Man stelle sich folgendes Szenario vor: eine fremde Familie käme in eines jener Dörfer. Sie wäre völlig mittel- und hilflos. Die Fremden besäßen nichts außer dem, was sie am Leibe trügen und weite Teile der Familie wären traumatisiert. Sie hätten Hunger gelitten oder wären politisch verfolgt gewesen. Sie hätten zuhause keinerlei Perspektive mehr gehabt. Sie wären in einer Dschunke über das Mittelmeer geflohen – in eine vermeintlich bessere Zukunft. Würden dann in jenem Dorf, in dem gute Nachbarschaft im besten Sinne seit Generationen groß geschrieben wird, die Fenster geschlossen und die Türen verriegelt? Kaum zu glauben. Irgend jemand würde fragen, was gewesen sei und wie man helfen könne. Oder würde man ihnen die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegenhalten, auch „Dublin II“ genannt. Das ist nicht vorstellbar.

Die Bibel und das christliche Abendland

Optimismus trotz Fluchtursachen: Junge in Goma, DR Kongo © Tom Rübenach
Optimismus trotz der Armut: Junge in Goma, DR Kongo © Tom Rübenach

Die Antwort auf die existentiellen Probleme unserer Nachbarn hält die Bibel bereit, hier: Leviticus 19, 33 und 34, wo es heißt: „Wenn ein Fremdling bei Euch wohnt in Eurem Lande… soll bei Euch wohnen wie ein Einheimischer unter Euch, und Du sollst ihn lieben wie Dich selbst.“ Das alleine ist die christliche Verantwortung. Und das gilt so lange, bis die reichen Staaten glaubhaft leisten, die Lage der Afrikaner vor Ort zu verbessern. Alle Parteien führen Begriffe wie Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit in ihren Programmen. Aber nur zwei nennen sich selbst christlich: CDU und CSU.

Wer die eigenen christlichen Werte verbal hoch hält und praktisch nicht (mehr) kennt, sollte sich nicht christlich nennen – nicht als Partei und nicht als Individuum. Das gilt in diesen Tagen vor allem bei der Bekämpfung der echten Fluchtursachen. Ein ehemaliger US-amerikanischer Präsident hat einmal gesagt: „Worte ohne Taten sind die Mörder des Idealismus. Das hat er in anderem Kontext geäußert. Dennoch passt er wie kaum ein anderer Satz auf die Frage, wie wir mit den wirklichen Fluchtursachen umgehen werden.

 

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