Jamaika | Grüne ohne Kreativität und Elan
Die Grünen dürften ohne Option für Jamaika kaum noch interessant für Wähler sein. Das haben sie sich selbst zuzuschreiben. Flach, arriviert, langweilig: so kommen die einstigen Helden gegen die etablierten Parteien daher. Hilft eigentlich nur noch einer: Habeck.
TS|BN 19. Mai 2017 Sie sitzen zusammen und retten die Welt. Langhaarige Typen, kahlgeschorene, unzufriedene Jugendliche. Manche rauchen Gras. Andere Bier. Whiskey-Kola geht auch. Oder einfach Wasser. Im Hintergrund Musik, natürlich. Für eine Gesprächsrunde eigentlich zu laut. Aber hey: es ist Reggae. Genauer gesagt Bob Marley. Aus Jamaika. Sie hören den „Redemption Song„. Großartige Musik, eindringliche Stimme, fulminanter Text. Die entscheidende Zeile: „Emancipate your self from mental slavery!“. Das wollen sie alle hier. Schließlich debattieren sie nicht mehr. Sie singen einfach mit. Schöne, alte, grüne Welt.
Arriviert und langweilig
Das war eine Szene aus den späten 70ern und frühen 80ern. ich weiß nicht, wie heute die jungen Leute zusammenhocken und sich die Zukunft vorstellen. Was sich indes aus den Zahlen der NRW-Wahl herauslesen lässt ist dies: das Publikum mag keine Ideologen, mal abgesehen von der rechtsextremen AfD, Naja, und den Linken. Es ist kaum zu verstehen, dass eine Partei wie die Grünen nicht offener sind. Dabei gaukelt ihr Entwurf zum Wahlprogramm das genaue Gegenteil dessen vor, was sie heute fabrizieren. Für die Partei, die einst angetreten ist, die „Etablierten“ hinwegzufegen, gibt es Alternativen. Eine davon trägt den Namen Robert Habeck.
Eigentlich ist der Mann ja Schriftsteller. Seit ein paar Jahren erst ist er in der Politik. Er sitzt erst seit 2009 im Kieler Landtag. Inzwischen war er Fraktionschef im Landtag und ist (noch) Umweltminister; ebenso stellvertretender Ministerpräsident. Das ist eine atemberaubende Karriere. Manchen mag das geradezu suspekt vorkommen. Habeck aber hat etwas, was vielen anderen grünen Funktionären abgeht. Er wirkt sympathisch. Er redet so, dass die Leute ihn verstehen. Er ist nicht ideologisch. Er hat auch als Minister gelernt, dass Pragmatismus erfolgreicher sein kann als Verbohrtheit. Das mag damit zu tun haben, dass er nicht schon seit gefühlten hundert Jahren in Gremien hockt, in denen es fast nur noch um Positionskämpfe zu gehen scheint.
Jamaika: „Ohne Horizont keine Orientierung“
Fundis und Realos, linke und rechte Truppen, die Häkelfraktion und die Schlipsträger: es sieht mitunter so aus, als ob das eigene Weltbild eine grüne Mauer um die herum baut, die eigentlich für andere Politik machen sollten – und nicht nur für sich selbst. Klar, man kann einwenden, dass das bei (fast) allen Parteien ebenso sei. Jens Spahn ist so ein Typ aus der „jungen“ Generation der CDU. Spahn wirkt aalglatt. Er redet so druckreif wie Habeck. Allerdings hat man beim allzu oft den Eindruck, dass es der eigenen Profilierung dient – ausschließlich. Er kritisiert die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel so nonchalant, dass man glauben könnte, er hocke in der Opposition. Spahn wirkt nicht glatt, sondern kalt. Er war an einer Lobbygruppe für Pharmaklienten beteiligt, während er gleichzeitig im Gesundheitsausschuss saß. Da kennt er nix.
Habeck wirkt anders. Natürlich ist er auch kein Greenhorn mehr und weiß, wie er sich zu positionieren hat, um wahrgenommen zu werden. Er verpackt seine Vorstellungen von Politik in prosaischen Texten wie etwa im Blog auf seiner Homepage. Dort finden sich Sätze wie dieser: „Man glaubt ja gar nicht, wie schwer es ist, sich zu orientieren, wenn man keinen Horizont sieht.“ Das war nicht das Transkript einer Wahlkampfrede. Es ging nicht um Hühnerhaltung oder Meeresbiologie. Er ging um einen Fahrradausflug im April in Schleswig-Holstein, nachdem die Sonne verschwunden war.
Grüner, linker Patriot Habeck
Die Grünen sollten endlich damit aufhören, sich zu zieren. Künstliche Verzögerungen bei politischen Erfordernissen machen sie zunehmend unglaubwürdig. Und weniger wählbar. Dabei ist das Potential deutlich größer, als ihr Ergebnis in NRW vermuten lässt. Das ist in Schleswig-Holstein zu besichtigen. Einer der Gründe dafür trägt den Namen Robert Habeck. Die Leute an der Küste kennen ihn – und haben ihn (dennoch) gewählt. Oder gerade deshalb. Er steht für die einzige Möglichkeit, die die Grünen in den kommenden Jahren haben dürften: für eine Entideologisierung grüner Mottenkisten. Gewiss, er weiß sich zu verkaufen. Er kann schreiben und reden. Er durchbricht Tabus. Bestes Beispiel davon gibt sein Buch mit dem unglaublichen Titel „Patriotismus – ein linkes Plädoyer“ aus dem Jahr 2010. Das ist ein starkes Stück für einen, der in der grünen Partei Karriere macht.
Sollte es den Grünen nicht gelingen, sich von sich selbst zu entfernen – um sich selbst wieder anzunähern – dürfte die Partei die schwersten Jahre noch vor sich haben. Das ist ihr nicht zu wünschen und Deutschland im Übrigen ebenso wenig. Es ist eine gute Idee, Leuten wie Habeck mehr zuzuhören als bisher. Es entspannt derzeit einfach zu oft, bei grünem Gerede auf „mute“ zu schalten. Weil selbst die Sprache der grünen Jugend so daneben ist, dass es einem weh tut. Oder – das ist äußerst ermüdend – wenn die immer selben grünen Langweiler immer wieder dasselbe mit immer gleichen Worten aus den Schubladen vergangener Jahrzehnte von sich geben – dann ist es Zeit, etwas zu wagen. Weil dann tatsächlich etwas Neues beginnen könnte.
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