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Reisewarnung | Die Türkei vor der totalen Diktatur

Die Regierung in Ankara will, dass die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die Türkei aufgehoben wird. Das bleibt Wunschdenken, hoffentlich. Nichts hat sich in den Monaten seit deren Beginn verändert. Im Gegenteil. Der türkische Machthaber Erdoğan hat mit der Liberalisierung seines Landes nichts am Hut.

„… wird die Türkei zurückschlagen.“

TS|BN 16. Januar 2018 Der deutsche Außenminister Gabriel empfing vor einigen Tagen seinen türkischen Kollegen. Gabriel will schön Wetter machen. Das gefällt Herrn Çavuşoğlu. Der will das nämlich auch, weil es für sein Land, die Türkei, besser wäre. Beide, Gabriel und Çavuşoğlu, haben sich in Goslar getroffen. Da ist Herr Gabriel, nur noch kommissarischer Minister, zuhause. Viele Journalisten, viele Fotografen, Kameraleute und politische Beobachter waren dabei. Herr Çavuşoğlu sagt: die Türkei gehe zwei Schritte auf Deutschland zu, wenn Deutschland einen auf sein Land hinzu mache. Gleichzeitig zetert er, und das klang dann so:

„Die Türkei hat kein Problem mit Deutschland. Aber Deutschland hat ein Problem mit der Türkei, und Deutschland lässt keine Gelegenheit aus, die Türkei anzugreifen. Das ist keine Schwäche, das kommt von Herzen. Aber wenn Deutschland die Türkei bedroht, wird die Türkei zurückschlagen.“

„Wenn Deutschland die Türkei bedroht“: wie meinen die das? Was meinen Erdoğan und Çavuşoğlu damit, wenn die „zurückschlagen“ sagen? Es ist ganz einfach. Sie meinen dies: wenn Ihr uns dabei stört, eine totale Diktatur aufzurichten, dann gibt’s Ärger. Dabei ist das Land auf dem schlechtestbesten Weg genau dorthin. Das sind keine Worte, die „Entspannung“ versprechen. Das sind Diktate in die Blocks der sogenannten Partner. Çavuşoğlu nennt Gabriel sogar seinen „persönlichen Freund“. Eine interessante Freundschaft, in der der eine dem anderen mit „zurückschlagen“ droht.

„Tausende Menschenrechtsverletzungen in Deutschland“

Zum Verständnis eines derartigen Auftretens gehört, die Sprache der Machthaber in Ankara zu verstehen. Für sie sind unabhängige Journalisten „Terroristen“. Deniz Yücel ist nur der bekannteste, jedenfalls in Deutschland. Der grüne Parteichef Cem Özdemir ist gar kein Türke, hatte der AKP-Führer postuliert. Erdoğan hatte gefordert, sein Blut untersuchen zu lassen. Dann werde man das schon sehen. Ganz Deutschland hat sich „wie die Nazis“ verhalten, als sie bestimmten Besuchern Kundgebungen versagt haben. Und frei gewählten Abgeordneten des Bundestages wurde die Einreise auf den Luftwaffenstützpunkt İncirlik schlicht verboten.

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Keine Entschuldigung für Nazi-Vergleiche

Das alles ist in Ordnung? Keine Provokation, keine Beleidigung, keine Blut-und-Ehre-Demagogie? Nein, es ist Ausdruck eines Regimes, das sich von niemanden an Menschenrechte- und Würde erinnern zu lassen gedenkt. Einerseits ist „Entspannung“ das Ziel; andererseits hält Çavuşoğlu an den zahllosen Nazivergleichen fest. In einem Interview sagte er am 1. Januar der Deutschen Presse Agentur (dpa):

„Wer auch immer in der Türkei inhaftiert wird oder dort Probleme hat, wird in Deutschland zum Helden. Warum? Ist Deutschland der größte Verteidiger der Menschenrechte in der Welt? Nein. Ich kann Ihnen Tausende Beispiele von Menschenrechtsverletzungen in Deutschland geben.“

Das ist ein netter Neujahrsgruß für einen, der die deutsch-türkischen Beziehungen „entspannen“ will. Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Koalitionsfreiheit, freie Meinungsäußerung: all dies gibt es in der Türkei grundsätzlich nicht mehr. Hier und da: ja, aber man muss sich Nischen suchen. Am besten bei verschlossenem Fenster und lauter Musik – wenn es gegen Erdoğan geht. In Köln durften Tausende, die für ihn waren oder noch immer sind, demonstrieren. Wie sieht das mit Gegnern des türkischen Regimes im eigenen aus? Gewiss, dort darf auch demonstriert werden, hier und da. Solche Demonstrationen oder oppositionelle Meinungen werden nicht im türkischen Fernsehen live übertragen. Das sind die gleichen Methoden wie die von Orbán in Ungarn oder Putin in Rußland. Mit liberaler Demokratie hat das nichts zu tun. Das wissen die Machthaber in der Türkei natürlich ganz genau. Eine „hier-und-da“-Demokratie hat indes nichts mit unserem Verständnis von Menschenrechten zu tun.

Die Türkei ist kein Urlaubsland, sondern eine Diktatur

Aus diesen Gründen kann die Türkei kein Urlaubsland sein. Entspannen am Strand von Marmaris, in einem netten Restaurant in Antalya oder einem coolen Café in Istanbul? Mir wird schlecht bei diesem Gedanken. Ganz abgesehen davon, dass mit Verhaftung rechnen muss, wer sein Maul aufmacht. Dieser Artikel, den Sie gerade lesen, fällt womöglich auch unter „Terrorismus“. Weil er dem großen Führer mit dem korrupten Regime nicht schmeicheln dürfte – und auch nicht will. Das Auswärtige Amt hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch im Internet geäußerte Kritik gefährlich sein könne.

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Mutiger Journalist: Ahmet Şık sitzt im Gefängnis

Das ist gerade mal ein paar Monate her und, wie es auf deren Homepage steht: „unverändert gültig seit 15. 11. 2017“. Dann wird womöglich aus einem all-inclusice-Urlaub schnell eine willkürliche Einzelhaft auf 12,96 Quadratmetern wie bei Deniz Yücel. In dem wunderbaren Land, in dem so unglaublich großartige Leute leben, will ich nicht sein; jedenfalls nicht zur Zeit. Ich will kein Regime mitfinanzieren, dass noch weniger mit Pluralismus und Freiheit zu tun hat als Ungarn und Polen zusammen. Und dass sich von Rußland kaum noch unterscheidet.

Wer die Türkei noch nicht gebucht hat, dem zolle ich Respekt. Wer es sich immer noch überlegt , der lese sich das durch, was der inhaftierte türkische Journalist Ahmet Şık gesagt hat – vor Gericht. Er klagt die herrschende AKP ebenso an wie die Gülen-Bewegung. Den Text seiner Verteidigungsrede gibt es hier in Deutsch, hier in Türkisch und hier in Englisch. Übrigens: Nach der Lektüre dieser mutigen Rede kann man eine bereits gebuchte Reise auch noch stornieren. Die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die Türkei muss bestehen bleiben. Es gibt keinen einzigen Grund, diese zu entschärfen, im Gegenteil.

 

 

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