Mauer | Erinnerung an die Diktatur
Die Mauer: sie stand exakt 28 Jahre, 2 Monate und 27 Tage. Heute markiert den Tag, an dem sie genau so lange weg ist wie es sie gab. Die Mauer bedeutete nicht allein Steine und Todesstreifen und all die Morde. Die Mauer ist ein Synonym für Diktatur und Unterdrückung. Und für die Stasi, die brutal gegen alle vorgegangen ist, die eine andere Meinung als die SED hatten, die heute „Die Linke“ heißt. Die Stasi hat Menschen erpresst und zu Spitzeln degradiert. Vor allem davon handelt diese Erinnerung.
TS|BN 5. Februar 2018 Nun ist die Mauer also endgültig Geschichte. Sie gibt es jetzt so lange nicht mehr wie es sie gegeben hat. Die Stasi gab es viel länger. Vermutlich hat sie auch mehr Menschen auf dem Gewissen als die 150 sogenannten „Mauertoten“. Bis heute bleibt die sich „Die Linke“ nennende ehemalige SED eine tätige Reue schuldig.
Hunderte von Millionen Euro bleiben verschwunden, derer sich die SED (oder PDS) bemächtigt hat. Das Geld wäre gut angelegt in einem Fonds für die Opfer der Diktatur. Nichts von dem ist erkennbar. Solange aber bleiben verbale Entschuldigungen der SED-Nachfolger weniger als Makulatur.
Mauer, Stasi, SED
Meine eigene Stasiakte hat einen Umfang von 670 Seiten. Mitgehörte Telefongespräche, Diskussionen in der Redaktion, in der ich in den 80er Jahren arbeitete. Mein Einreiseverbot. Ich habe „feindlich-negative Kräfte“ in Ost-Berlin und der DDR unterstützt, haben sie geschrieben. Das stimmte.
Manche von meinen Leuten haben mir paranoide Verhaltensweisen unterstellt, weil ich oft so vorsichtig war mit dem, was ich gesagt habe. Vor allem am Telefon. Und auch, wem. Die Stasiakten belegen, dass meine Vorsichtigkeit richtig war.
Ich war nie ein Opfer der Staatssicherheit und habe nie in einer Diktatur leben müssen. Aber ich kann mich an sie gut erinnern. Hier habe ich aufgeschrieben, wie mir ein Freund davon berichtete, dass er für die Stasi gearbeitet hat.
„Thomas. Ich muss Dir was sagen.“
Nach meinem Namen machte er eine Pause. Er sah jetzt sehr ernst aus. Er schaute zuerst mich an, fast ängstlich, dann auf den Tisch. Er holte Luft. Dann schaute er nach oben. Er begann er wieder mit meinem Namen, mit der selben Pause von vorhin.
„Ich habe für die Stasi gearbeitet, zwei Jahre lang. Ich wollte Dir das sagen. Es tut mir leid.“
Das Gesetz, das den Umgang mit den Akten des Geheimdienstes der SED-Diktatur regeln würde, war noch nicht verabschiedet. Er kam dem zuvor, von dem er noch nichts wusste.
Ein ganz normales Interview
Begreifen, das zur Erschütterung führen kann, ist die Folge des Verstehens. Wir kennen die Bedeutung einzelner Worte. In der Linguistik nennt man das „Dekodierung“. Das bedeutet indes keineswegs, dass wir das Gesagte sofort verstehen. Gefühle haben es erst recht nicht so eilig; zum Glück. Das ist wie ein Schutzanzug, den wir uns anlegen. Dazwischen sind
wir womöglich paralysiert.
Als wir gemeinsam am Tisch saßen, wurde mir bewusst, dass ich gerade ein Interview führte. Eines wie zahllose andere, die ich schon hinter mir hatte. Solche, die Neues zutage förderten und solche, die Vergangenes zu erklären versuchten.
„Das heißt, dass Du für das MfS gearbeitet hast?“
„Ja.“
„Für die Stasi. Hier in West-Berlin?“
„Ja. Hier.“
„Was hast Du gemacht?“
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gehofft, er würde darüber sprechen, dass er irgendein Zeug über irgendetwas Belangloses an die Stasi weitergegeben hätte. Das haben Inoffizielle Mitarbeiter nicht selten so gemacht. Meinetwegen das West-Berliner Telefonbuch gezielt nach Namen durchforstet oder die Verspätung der S- Bahn protokolliert oder sonst einen Unsinn. Ich hatte mir gewünscht, dass er nichts Schlimmeres sagen würde.
„Ich habe ihnen Informationen über Dich gegeben.“
„Welche Informationen waren das?“
„Eigentlich alles. Was Du für ein Typ bist. Welche Kontakte Du so hast. Wie ich Dich als Persönlichkeit einschätze. Mit wem Du Umgang hast. Wie Du politisch tickst. Sowas.“
Sowas also. Das Interview ging weiter. Nur in dieser Form war ich überhaupt imstande, weiter mit ihm darüber zu sprechen. Also technisch. Sonst hätte ich abbrechen müssen.
„Warum hast Du das gemacht?“
„Du weißt ja, dass meine Ex-Frau drüben lebte und das Kind auch. Da haben sie mir gesagt: ‚Wenn Sie da nochmal hin wollen, müssen Sie auch etwas dafür tun‘.“
„Wie lange ging das?“
Ich wollte es noch einmal hören, um sicher zugehen, dass ich bisher alles richtig verstanden hatte.
„Zwei Jahre, aber dann habe ich aufgehört.“
„Du hast einfach aufgehört?“
„Ja, ich habe ihnen gesagt: ‚Ich mach das nicht mehr.‘ Da haben sie einfach gesagt: ‚Ist okay.‘“
Er durfte trotzdem weiterhin manchmal nach Ost-Berlin fahren und seine Ex-Frau und das Kind sehen.
„Wollten Sie noch etwas wissen?“
„Ich habe ihnen einen Grundriss Deiner Wohnung aufgezeichnet und gegeben. Den wollten sie haben. Sie haben Dich auch von der anderen Straßenseite aus beobachtet. Sie sind mit dem Auto in die Straße gefahren und haben gegenüber geparkt.“
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