Syrien: Hoffnungslose Hoffnung © Tom Rübenach

Syrien | Hoffnungslose Hoffnung

Dieser Tage wird viel über Syrien und den Krieg dort geschrieben. Wie alles angefangen hat und wie es heute hier und dort aussieht: hier eingekesselt, dort menschliche Schutzschilde. All diese Begriffe gehen bei uns links rein und rechts raus, oder umgekehrt. Weil wir sie alle schon sooft gehört haben oder gelesen. Als der Krieg noch jung war, bin ich im jordanischen Mafraq einer Familie begegnet. Das drückt für mich – immer noch – mehr über diesen Krieg aus als alle Weltsicherheitsrats-Debatten.

TS|BN 16. März 2018 Es war im August 2012, als ein deutsches Regierungsmitglied äußerte, es sei jetzt nicht die Zeit, über Flüchtlinge oder Asylsuchende zu sprechen. Man müsse versuchen, die Lage „dort“ zu befrieden. Gemeint war Syrien, als der Krieg noch jung war. Heute kommt mir dieses Statement noch zynischer vor. Mehrere Begegnungen habe ich damals aufgeschrieben, als der Krieg Assads gegen sein eigenes Volk immerhin noch ohne Giftgas auskam. Ähnlich wie das „Flüchtlingslager der drei Träume“ hat mich auch diese Erfahrung sehr bewegt.

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Privatsphäre aus Papierresten

Das übliche schöne, laute Kindergeschrei, Lachen, Trampeln und Rufen schallt durch das Treppenhaus, als wir die ersten Stufen von Faraks Haus betreten. Die 30-jährige aus Syrien hat hier eine Bleibe gefunden. Kein Zuhause, das ist woanders, aber immerhin hat sie mit ihren fünf Kindern ein festes Dach über dem Kopf. Niemand würde sich hier je über Kinderlärm beschweren. Anders als manchmal bei uns im reichen Deutschland, denke ich mir, aber verkneife mir eine Bemerkung. Es ist ein einfaches Haus, in der Treppe verbreitet sich ein Geruch von Abfall, es stinkt ein wenig. Die mit Glas eingefasste Wohnungstür ist nicht mit einer Gardine, sondern mit alten Papierresten von innen abgedeckt. So wird hier Privatsphäre geschaffen.

Meine Begleiterin aus der im östlichen Jordanien gelegenen Stadt Mafraq klopft mit ihrem Fingerring an die Tür. Nochmal und nochmal. Niemand öffnet. Erst, als sie aus dem Flur in die Wohnung anruft, wird es plötzlich mucksmäuschenstill. Farak öffnet uns die Tür. Sie lächelt, als sie die Sozialarbeiterin sieht. Die Frauen kennen sich. Sie waren sich begegnet an dem Tag, an dem Farak als Flüchtling diese Wohnung zugewiesen worden war. Hier leben auf vielleicht 50 Quadratmetern acht Menschen. Faraks Mutter und ihr Cousin sind mit ihr hier, außerdem ihre fünf Kinder. Die sind zwischen fünf und elf Jahre alt. Farak hat wunderschöne große Augen, die stets offen und interessiert am Gespräch teilnehmen.

Beerdigung im Fernsehen

Ihre schlanken Hände streicheln den Krauskopf der Kleinsten, die es sich in ihrem Schoß gemütlich gemacht hat. Unter ihrer Kopfbedeckung lugt ein Teil des schwarzen Haupthaares hervor, das sie wieder und wieder nach hinten schiebt, so dass man es nicht sehen kann. Die Kinder haben sich im „Wohnzimmer“ verteilt. Das hat keine Sessel, keinen Tisch, keine Stühle. An den Wänden gibt es keine Bilder, nur einige Nägel, die als Garderobenhalter dienen könnten. Ein schlichter Plastikteppich und – entlang der Wände – Schaumstoffmatratzen, die als Sitzgelegenheiten dienen. Ach ja, und ein paar Kissen, die gibt es auch. Die Küche ist sehr einfach. Ein Gasherd mit vier Kochstellen, und ein kleiner Kühlschrank, viel zu klein für so eine große Familie. So lebt Farak mit ihrer Familie hier in Mafraq.

Als sie aus ihrer syrischen Heimatstadt floh, war ihr Mann fort. Wo, das wusste sie nicht genau. Woher sie stammt, sollen wir nicht sagen oder schreiben. Auch ihren Namen sollten wir ändern. Auch sie hat, wie so viele Flüchtlinge, immer noch Angst vor denen, die ihren Mann umgebracht haben. Jemand reicht mir ein Smartphone, auf dem das Video einer Nachrichtensendung zu sehen ist. „Da“, sagt jemand. „Das ist ihr Mann, sehen Sie?“ In dem Fernsehbericht werden Bilder von einer Beerdigung gezeigt, irgendwo in Syrien. Hunderte von Menschen beteiligen sich am letzten Geleit für Faraks Ehemann. „Da, schauen Sie nur.“ Sie konnte ihren toten Mann deutlich erkennen. Einer ihrer Cousins hatte das Video gesehen und sich einen Mitschnitt besorgt. So hat Farak vom Tod ihres Mannes erfahren.

Die Revolution und der Himmel

Ihre Kinder, ihre Mutter und der Cousin sitzen immer noch um sie herum. Sie haben diese Geschichte in den letzten Wochen wieder und wieder gehört. Sich das Video dutzende Male angesehen, so, als ob sie es nicht wahrhaben wollten und darauf hofften, dass es sich doch womöglich um eine Verwechslung handeln könnte. Als die Geschichte zum wiederholten Mal zu Ende erzählt worden ist, schweigen alle. Nur einer der Jungs ist ganz leise zu vernehmen, wie er etwas mehr summt als singt. „Ich mag die Lieder der Revolution“, antwortet mir der Kleine, als ich ihn frage, ob er Musik mag und dann, welche vor allem.

Farak lächelt. „Das hier wird noch mindestens zwei Jahre dauern. Noch mindestens zwei Jahre“, sagt sie. So lange will die kleine Salsabeel nicht warten. Sie steht seit dem Tod ihres Vaters noch immer unter lähmendem Schock. Auf ihrem Kopf gibt es eine Stelle, auf der kein einziges Haar mehr wächst. Genau da sind ihr Haare ausgefallen, als sie vom Tod ihres Vaters erfuhr. Als ich sie frage, was sie den ganzen Tag macht, mit wem sie spielt und wie sie sich ihre Zeit vertreibt, antwortet sie: „Nichts. Ich warte, bis Frieden ist und dann gehe ich nach Hause und sehe meinen Vater wieder.“ Ihr Name, Salsabeel, stammt aus dem Koran. Es ist der Name eines Flusses im Himmel.

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