Rana Plaza | Synonym für Ausbeutung
Rana Plaza – niemand kannte seinen Namen, und niemand wollte ihn wissen. Es ist der Name des eingestürzten Fabrikgebäudes nahe Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh. Hauptsache war und ist noch immer, möglichst wenig für die eigene Kleidung zu bezahlen. Dabei steht Rana Plaza als Synonym für Ausbeutung. Daran sind nicht nur Konzerne beteiligt, sondern auch wir selbst.
ToS 22. April 2018 Morgen vor fünf Jahren starben in der Nähe von Dhaka 1134 Menschen. Sie trugen keine Schuld. Sie schufteten an einer Werkbank weit weg von Europa für die Nutznießer des Kapitalismus. Die Opferzahl liest sich in Worten noch schrecklicher: eintausendeinhundertvierunddreißig. Das sind 134 Menschen mehr als üblicherweise angegeben werden. Das bedeutet Tragödien in Familien. Das heißt, dass Kinder ihre Mütter verloren haben und ihre Väter. Hundertvierunddreißig mal ignorierte Schicksale. Es ist eben sehr weit entfernt von unserem eigenen Schlaraffenland.
Rana Plaza – nicht nur ein Name
Es ist bezeichnend, dass in vielen Medien meist nur von „1100 Opfern“ die Rede ist. Das lässt sich einfacher schreiben, und die Leute merken es sich besser: so ist oft die Argumentation von Medienmachern. Das geschieht aber auch dann, wenn Journalisten entweder die genauen Zahlen nicht kennen (schlecht recherchiert); es ist durchaus möglich, dass sie nicht wirklich interessieren (Ignoranz). Eine Geschichte kann man schließlich immer erzählen, wenn über 1000 Leute über die Wupper gehen. Je entfernter, desto unbedeutender die Details. Das nennt man Globalisierung. Damit haben wir allerdings sehr viel zu tun.
Jedes T-Shirt, das wir kaufen und jede Jeans und alles andere an Klamotten wird irgendwo genäht. Das Wenigste davon in Europa. Es geht natürlich nicht darum, alle diejenigen, die in Billigläden einkaufen, zu stigmatisieren. Es gibt mehr als genug Leute in unserem Land, die sich teure Kleidung einfach nicht leisten können. Dennoch geht es um unsere Verantwortung. Die wenigstens von uns – mich eingeschlossen – nehmen sie selbst dann wahr, wenn sie es könnten. Genau da beginnt die Ungeheuerlichkeit.
Gleichgültigkeit gegenüber Ausbeutung
In immer mehr Geschäften gibt es sogenannte „fair gehandelte“ Produkte. Vom Kaffee über Unterwäsche bis hin zu Taschen und Geschirr. Das ist gut. Ihre Zahl ist immer noch recht übersichtlich, aber das Gute sollte so genannt werden. Gleichwohl reicht das Angebot bei weitem nicht aus. Viel mehr Firmen, Konzerne, Geschäfte, Shops oder Onlinehändler müssten faire Produkte anbieten. Es herrscht eine verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber weltweiter Ausbeutung. Zu selten fragen wir Verbraucher nach der Herkunft bestimmter Produkte. Noch seltener nach Herstellungsbedingungen.
Je weniger wir Verbraucher nachfragen, desto sicherer fühlen sich die Retailer; jene also, die die billig produzierten Produkte hierzulande verkaufen. Die machen sich allzu gern einen schlanken Fuß. Da wird mit viel Marketing-Tamtam von den sozialen Wohltaten berichtet (die es zweifelsohne gibt). Substantielle Veränderungen indes treiben sie meist nur dann voran, wenn öffentlicher Druck spürbar wird. Es muss geprüft werden, ob Organisationen wie die Weltarbeitsorganisation ILO nicht zu groß und schwerfällig geworden sind. Ähnliche Skepsis ist gegenüber der Welthandelsorganisation WTO angebracht. Solange Menschen in absolut unwürdigen Behausungen zubringen müssen, obwohl sie zehn Stunden pro Tag arbeiten, haben ILO und WTO ihren Job nicht richtig gemacht.
Selbst wenn eine solche Überlegung absurd erscheinen mag: eine neue, effektive Organisation ist nötig. Eine „Fair Trade Organisation“ der UNO muss her. In ihre müssten das beste aus ILO und WTO für die gebündelt werden, die massiv benachteiligt sind. Gewerkschaften hierzulande müssten sie viel kraftvoller für Arbeiterinnen und Arbeiter in Entwicklungsländern einsetzen. Es ist eine Binsenweisheit, dass Worte Politik beeinflussen. Das gilt auch für das Wort „Fairness“. Wenn etwa der US-amerikanische Präsident von „fairem Welthandel“ spricht, meint er immer nur die großen, starken Industrienationen. Der Blondschopf ist ein Zyniker, das ist bekannt. Aber nicht nur er allein; viele westliche Politiker fordern das gleiche in fast identischem Wortlaut. Dabei ist der Welthandel natürlich nur dann fair, wenn auch arme, unterentwickelte Länder eine faire Chance erhalten, am Welthandel teilzunehmen. Das indes können sie längst nicht.
Hilfsorganisationen übernehmen Verantwortung
Gewiss, es gibt sie immer noch: die mit selbstverliebter Selbstherrlichkeit ausgestatteten Repräsentanten der „Nichtregierungs-Organisationen“, auch NGOs genannt. Die, die alles besser wissen und denen Respekt gegenüber Andersdenkenden ein Fremdwort bleibt. Oft sind es Gutmenschen, die ganz schlecht für harte Bandagen sind. Mit denen aber muss man kämpfen, soll für Ausgebeutete etwas erreicht werden. Das stärkste Beispiel für eine gute, harte Lobbyarbeit ist für uns die „Clean Clothes Campaign“. Sie ist in Deutschland als „Kampagne für saubere Kleidung“ bekannt. Im Zusammenhang mit dem Verbrechen des Rana Plaza fordert sie aktuell zu Unterschriften auf. Sie sollen Retailer dazu bewegen, den „2018 Transition Accord“ zu unterschreiben. Es folgt dem sogenannten „Bangladesh Accord“ und (selbst)verpflichtet in Bangladesch produzierende Firmen, Sicherheit in ihren Zulieferfabriken zu garantieren.
Die Hilfsorganisation CARE Bangladesch hatte bereits vor Jahren einen äußerst ambitionierten Weg eingeschlagen. Sie war mit einem Projekt in den Norden des Landes gezogen. In Kooperation mit einem lokalen Unternehmen haben dadurch vor allem Frauen Arbeit gefunden. Sie haben jene Flickenteppiche geknüpft, die viele von uns im Zimmer liegen haben oder vor der Tür. Diese Flickenteppiche wurden in Deutschland u.a. von der Firma kik verkauft. Mit dem Erlös daraus wurden weitere Projekte in Rangpur unterstützt, unter anderem ärztliche Versorgung. Durch dieses Projekt allein hat sich die soziale und wirtschaftliche Lage hunderter Familien verbessert. Mittlerweile ist aus dieser Idee eine Art „spin off“ entstanden: es heißt „Living Blue“. Lokale Bauern, die mit der Kunst der Indigofärbung seit Generationen vertraut sind, können ihre Produkte mittlerweile in der „Gallery Lafayette“ in Paris bestaunen. Im April 2018 hat sogar die „Vogue“ über dieses Projekt berichtet. Das ist Globalisierung at its best und ein Synonym für fairen Welthandel.
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