Refugees - Child in Zataari camp, Jordan © Tom Rübenach

EU | Die Koalition der Mauer-Willigen

Die Pläne der Europäische Union (EU) in der sogenannten „Migrationsfrage“ sind inhuman. Es widerspricht allem, wofür die EU steht. Die Würde des Einzelnen, gleiche globale Lebensverhältnisse, soziale Gerechtigkeit. Aus der Nacht herausgekrochen kam eine Erklärung, die den Rechtsradikalen hinterher läuft und der Humanität Hohn spricht. Unser Artikelbild zeigt Frauen an einem Brunnen im Tschad. Um sie sollte es beispielhaft gehen und nicht um die Orbáns dieser Welt.

TS|BN 29. Juni 2018 Es war kurz vor halb fünf am Freitagmorgen (29. Juni). Der EU-Chef Tusk verkündete die Einigung. Es fielen Worte, die den Rechtsradikalen wie ein Triumph anmuten müssen: Frontex gestärkt, Lagerhaltung von Flüchtlingen, Unterdrückung der „Sekundärmigration“. In Wirklichkeit sind die Beschlüsse von Brüssel ein Dokument der Brutalität. Faktisch wird das Asylrecht abgeschafft. Juristen mögen hier widersprechen; politisch ist das so. Die Mauer, in Ungarn längst errichtet, wird nun durchs Mittelmeer und die Ägäis gebaut – mit Hilfe von Frontex. Dafür ist offenbar viel Geld da.

Die rechte EU: „Invasoren“ bleiben draußen

Unlängst sagte mir eine deutsche Diplomatin in Afrika: „Die gehen hier nicht weg.“ Gemeint waren Menschen in den Slums von Nairobi. Der Zynismus der Diplomatie. Ruhigere Gestalten würden es anders nennen. Vielleicht Pragmatismus. Es kann aber nicht primär darum gehen, die EU abzuriegeln. Genau das aber geschieht, wenn die Gipfelbeschlüsse realisiert würden. Es wird dichtgemacht. Das Dublin-Prinzip soll sich entlang der europäischen Küsten ziehen. Da müssen die rechten CSU-Bayern gar nicht mehr besonders kontrollieren. Dazu ist schließlich Frontex da; bald mit zehn Mal so vielen Leuten wie heute. Und mit mehr Schiffen. Kooperationspartner werden dann vermutlich die libyschen Warlords sein. Europa, Deine Werte!

Die realen Zahlen gegen die Hetze der Rechten

Die aktuellen Fluchtzahlen sind im Vergleich zu 2015 geradezu minimal. Trotzdem diktiert eine radikale Minderheit von Populisten, Menschenhassern, Intoleranten und Illiberalen allen anderen in die Blöcke. Orbán feixt: die „Invasoren“, wie er Flüchtlinge nennt, kommen nicht mehr. Conte grient: das sei ja mal eine europäische Lösung, und Italien „ist nicht mehr allein.“ Selbst die Bundeskanzlerin lässt sich hinreißen. Im Angesicht des rechten CSU-Drucks äußert sie, „kein Asylbewerber kann sich einen EU-Staat aussuchen“. Die Flucht allerdings ebenso wenig.

Das Spiel mit den ODA-Zahlen

Nicht ein einziges Mal haben sich die Chefs der EU-Länder die Nacht um die Ohren gehauen, um den wahren Fluchtursachen auf den Grund zu gehen. Und sich womöglich auf ein „Maßnahmenpaket“ zu einigen. Dabei ist es ganz einfach. Die Stichworte sind seit Jahrzehnten bekannt.

  • Gesundheitsversorgung
  • Bildungsmöglichkeiten
  • Fairer Handel
  • Sauberes und bezahlbares Wasser
  • Elektrizität
  • Infrastruktur
  • Demokratisierung

All diese Dinge fehlen den meisten Menschen in weiten Teilen Afrikas, auch Asiens. Bei uns stört das kaum jemanden. Uns geht es gut. Offenbar ist es indes politisch opportuner, weil einfacher, rechtsextremem Pack etwas anzubieten als christlichen Worten konkrete Taten folgen zu lassen. Frau Merkel schien bisher als Garantin der EU-Grundwerte. Sie ist leider gerade dabei, ihre große, humanitär begründete Entscheidung vom September 2015 zu konterkarieren; mindestens verbal. Führe sie so fort, sie verlöre viel Ansehen, nicht nur in Deutschland.

Wer Milliarden für Abschottung ausgeben will, der sollte mindestens so viel für echte Entwicklung locker machen. Merkel und von der Leyen werden nicht müde, das 2-Prozent-Ziel bei der NATO wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Die sogenannte ODA-Quote aber kennt kaum ein Mensch. Die besagt, dass mindestens 07% des BNE für Entwicklungshilfe auszugeben sind. Dazu hat sich Deutschland vor Ewigkeiten verpflichtet, genauer gesagt bereits 1972. 2017 lag die Zahl immer noch bei geringen 0,55% – so das  Entwicklungsministerium.

Die EU und die „Schicksalsfrage“

Merkel hat vor dem Gipfel angedeutet, sie halte die aktuelle Debatte für eine „Schicksalsfrage“ der EU. Das ist unrichtig, denn es insinuiert, die EU könnte auseinanderbrechen, würde eine Einigung nicht gelingen. Mag sein, dass mittelfristig neben Großbritannien weitere Länder die EU verlassen. Die Europäische Union bliebe dennoch bestehen; politisch würde sie dadurch stärker. Wirtschaftlich schlösse man Abkommen mit den Ausgetretenen. So wird es auch mit London geschehen. Ein sogenanntes Kern-Europa könnte effizienter bessere Lösungen herbeiführen als heute. Die eigentliche Schicksalsfrage stellt sich gänzlich anders.

Immer weniger Flüchtlinge kommen in die EU und nach Deutschland. Quelle: Bundesregierung
Immer weniger Flüchtlinge kommen in die EU und auch nach Deutschland

Die „Schicksalsfrage“ der EU ist natürlich nicht, wieviele Flüchtlinge woher kommen und wohin sie wollen. Vielmehr muss sie eine Antwort darauf finden, wie lange sie ihre Werte noch glaubwürdig vertreten kann. Immer nur zu re-agieren, wenn es „brennt“, ist zu schwach. Peter Kapern vom Deutschlandfunk nennt das, was in Brüssel verabredet wurde, eine „menschenunwürdige Flüchtlingspolitik“. Dem muss man zustimmen.

Es bedarf einer konsistenten Politik der globalen Chancengleichheit. Sollte es das globale Dorf wirklich geben, von dem doch alle schwadronieren, benehmen wir uns wie die skrupellosesten Nachbarn. Mir ist kein Dorf bekannt, in dem Mauern hochgezogen werden. Weder zu Lande noch zu Wasser.

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