Seehofer | Die CSU ist der Wasserträger der AfD
Ein Kompromiss mit der CSU und Seehofer ist gestern Abend herausgekommen. Zunächst ist das gut. Schließlich lebt eine Demokratie davon, dass sich die Akteure auch zusammenraufen können. Es gibt keine Parteienkrise. Stattdessen eine wild gewordene CSU, die sich gnadenlos verkalkuliert hat. So ist sie zum Wasserträger für die AfD geworden. Die Quittung dafür wird bald geliefert werden.
TS|BN 24. September 2018 Das Onlinelexikon „Wikipedia“ beschreibt die CSU als „Wasserträger“. Das tut es natürlich nicht kontextualisiert. Aber es beschreibt nahezu perfekt das, was die CSU seit Monaten, fast Jahren, veranstaltet. Alles begann mit einem ungeheuerlichen Begriff. Seehofer, damals immerhin noch Ministerpräsident, sagte der „Passauer Neuen Presse„: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ Kurz zuvor war er in einem Unrechtsstaat zu Besuch gewesen, hatte lächeln die Hände des Diktators Putin geschüttelt.
Seehofer – Maßlose Hybris
Das war vor über zweieinhalb Jahren. Seitdem poltert und attackiert er gegen die Bundeskanzlerin; andere aus den „eigenen Reihen“ tun das ebenso. Im Februar 2016 hatte Deutschland gerade die sogenannte „Masseneinwanderung“ erlebt. Diese war im Herbst 2015. Hunderttausende von Flüchtlingen hatten sich zu Fuß auf den Weg gemacht, um von Ungarn nach Deutschland zu gelangen. Sie waren aus einem Land weiter geflüchtet, dessen Despot Orbán alle Flüchtlinge pauschal als „muslimische Invasoren“ bezeichnet. Aus diesen wenigen Wochen der Hilfe für viele Flüchtlinge beziehen immer noch die Demagogen ihre Begriffe. Dazu gehört unter anderem die Mär von der „unkontrollierten“ oder „unbegrenzten“ Zuwanderung.
Das Wort von der „Herrschaft des Unrechts“ hat übrigens weder Seehofer und noch sonst jemand in der CSU je zurückgenommen. Es ist hier gleichgültig, ob diese Aussage gegen Merkel gerichtet war oder ist. Die Aussage allein disqualifiziert sich. Das gilt selbst dann, wenn jemand die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin für ganz und gar falsch hielte. Es ist und bleibt eine unglaubliche Entgleisung. Zudem war diese Begrifflichkeit ein großer Schub für die Lügenpropaganda der rechtsradikalen bis extreme Vertreter der AfD.
Seehofer und viele andere in der CSU leiden unter einer schier unerträglichen Selbstüberschätzung. Das mag an den vielen absoluten Mehrheiten in Bayern liegen. Söder, Seehofer, Dobrindt und Konsorten indes haben sich dieses Mal verkalkuliert. Der Blick auf die Umfragen beweist das. Als die CSU noch deutlich zehn Prozent über den aktuellen Werten lag, klang das anders. Regelrechte Hybris brach durch, als der Chef der CSU als sich als Verfassungsminister zu der Bemerkung hinreißen ließ, er werde sich nicht von jemandem entlassen lassen, der „nur wegen mit Kanzlerin ist“.
Seehofers rechte Freunde
In einem anderen Interview ließ er wissen: „Wenn man … einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo sind wir denn?“ Diese Frage muss sich in der Tat jeder und jede mit klarem politischen Verstand stellen. Wo, bitte schön, sind wir eigentlich, wenn ein einzelner Mann die Verfassung auf den Kopf zu stellen sucht – und seine eigene Partei darauf nicht reagiert? Dieses hybride Verhalten hat er mit vielen seiner rechten Freunde gemeinsam.
Zu denen gehört ja nicht nur jener bereits erwähnte Orbán aus Ungarn. Söder, Dobrindt oder Scheuer schritten jahrelang Seit‘ an Seit‘ mit dem Erfolgsmann Seehofer. Oder sie sonnten sich in seinem Erfolgsschatten. Der Verkehrsministerversager aus der CSU, der jetzt die Landesgruppe im Bundestag anführt, gratulierte „unserem Freund“ Viktor Orbán zu seinem „starken Wahlerfolg“. Söder ist inzwischen zurückgerudert, was seine Hass-Sprache angeht. Da war von „Asyltourismus“ und anderem die Rede (siehe Grafik unten).
Wohl eher die miserablen Umfragewerte und weniger Söders Einsicht dürften zu dieser Selbstdisziplinierung geführt haben. Zahlreiche Vokabeln von der rechtspopulistischen Resterampe zogen sich durch seine demagogischen Äußerungen und die seiner Parteileute. Die morbide Mischung politischer Zersetzungsbegriffe hat sich längst innerhalb der CSU festgesetzt. Gewiss nicht bei allen, aber immer dann wird im CSU-Lager gejubelt, wenn harte Töne den Sound des Wahlkampfes bestimmen.
Es gibt keine Parteienkrise
Trotz aller Prognosen für die Bayernwahl sollte Kassandra nicht überstrapaziert werden. Es gibt keine Parteien- und schon gar keine Staatskrise, immer noch nicht. Es mag sich medial gut verkaufen, wenn wieder einmal eine GroKo-Krise heraufzieht. Weimar ist längst wieder ein Stichwort geworden. Es lässt sich damit leichter Schlagzeilen basteln. Für fette Überschriften ist es allemal einfacher, als sich mit den Details neuer Bau- oder Kitagesetze abzumühen. Medien könnten sich häufiger dringenderer Themen annehmen als der Parteipolitik. Wäre weniger reißerisch, ist aber notwendig.
Das letzte Zappeln des politisch siechenden Seehofer – und mancher seiner CSU-Konsorten – sollte Skeptiker beruhigen. Ja, die CSU betätigt sich seit Jahren als hilfreiche Wasserträgerin der AfD. Es ist unfassbar, was da von einer demokratischen Partei als Steilvorlagen für Extremisten geliefert wurde. Gleichwohl scheint „das System“ in Ordnung zu sein. Die CSU empfand alleine bei dem Gedanken über Koalitionen so etwas wie körperlichen Ausschlag. Nun steckt sie in Umfragen bei 35 Prozent fest. Das System funktioniert. Es ist stabiler als manche (Medien)Auguren es tagaus, tagein insinuieren. Die Quittung für die Seehofers dieses Landes werden bald ausgestellt.
CDU-Günter als Gegenentwurf
Gleichwohl hat die CSU hat ein mieses Spiel gespielt, und sie tut es noch. Wer mit Orbán kuschelt, Putin lächelnd die Hände reicht und Höcke die Redetexte schreibt, der muss sich nicht wundern. Dann rennen jene Leute zum Original, die man mit vernünftigen Antworten womöglich früh genug noch hätte gewinnen können. Wie das gehen könnte, zeigt ein relativ junger Mann. Der junge Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günter, bringt demokratische Dinge auf den Punkt. Klar, sagt er sinngemäß. Wir dürfen und wir müssen uns sogar streiten. Aber an die Substanz darf es halt nicht gehen.
Der CDU-Mann sagt in einer Regierungserklärung im Juli im Blick auf die Flüchtlinge in Deutschland: „Wir helfen Menschen in Not.“ Er bekennt sich zu Europa ohne Wenn und Aber. Da gibt es bei ihm nicht einmal die kleinste Hintertür. Günter betont, dass sein Land „weltoffen und tolerant“ bleibe. Die Seehofer-Tirade („Herrschaft des Unrechts“) bezeichnet er als „irrsinnig“. Und bezeichnet es als das, was es ist: als ein „Konjunkturprogramm für die Populisten“.
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