Halloween | Wir brauchen eine neue Reformation
TS|BN 31. Oktober 2018 Halloween oder Reformation? In einer evangelischen Predigt zum Reformationstag heute im Radio ging es um den Islam. Das ist alles interessant genug, und einigermaßen verwirrend. Der Priester sprach von einer Muslima, die zum Christentum konvertiert war. Sie habe das in einem muslimisch geprägten Land vollzogen. Jetzt, so der Prediger, fühle sie sich frei: negative Propaganda einer Religion, die andere für unfrei hält.
Der Priester wollte damit nach eigenem Bekunden keinesfalls den Islam als schlechtere oder gar falsche Religion darstellen. Tat er aber. Wieder wurden verschiedene Religionen gegeneinander dargestellt. Erneut predigte jemand für die eigene und gegen die andere Religion. Gleichzeitig hörten sich die Fürbitten an wie immer. Man bete dafür, dass sich Katholiken und Protestanten „eines Tages“ verbinden mögen. Das hört sich längst nicht mehr nach Sisyphus an, sondern längst nach einem Ritual ohne echtes Ziel.
Neue Reformation, neue Bibel
Der liebe Gott wurde in dem Gottesdienst auch noch gebeten, „uns Frieden zu schenken“ und uns dabei zu helfen, „Gemeinschaft“ erleben zu können. Die Gemeinde antwortete singend: „Herr, erbarme Dich!“. Wie weit weg von der Realität der Welt die Kirchen sich doch befinden. Welch alte Sprache sie doch sprechen. Wie wenig ihre Liturgie und Texte doch mit dem zu tun haben, was in der Welt tatsächlich vor sich geht. Die Bibel ist noch immer die Basis für dieses große kommunikative Missverständnis, oder – anders ausgedrückt: In ihrer alten und unverständlichen Sprache fegt die Bibel mit ihren Erklärern an der Gesellschaft vorbei. Meistens ungehört und oftmals unerhört arrogant.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: jede/r Gläubige hat unseren Respekt. Auch Priester, Diakone, Pastoren genießen grundsätzlich unsere Anerkennung für ihre Arbeiten. Sie leisten oft genug Übermenschliches. Auch haben sie keine 40-Stunden-Woche. Sie sind Seelsorger, Psychologen, Priester im Gottesdienst. Gleichwohl, es wird allzu viel Energie darauf verschwendet, Rituale am Leben zu erhalten, die einfach keine Substanz mehr bieten.
Während Millionen von Menschen sich auf Smartphones, Tabletts oder sonstwo im Internet jederzeit jede Religion herunterladen können, hallen die Worte der Hohenpriester immer noch unverständlich in den dicken Mauern der Kirchen wider.
Eine neue Reformation ist nötiger denn je. Nicht eine protestantische, keine katholische. Kein einzelner Mensch, schon gar kein Exeget wird das sozusagen im Alleingang wuppen können. Luther ist lange her. Vielmehr muss sich Kirche insgesamt an etwas ganz und gar Neues heranwagen. Dazu gehört, zu allererst, eine völlig neue Sprache. Diese wird es aber nur geben können, wenn die Tat sich von dem unterscheidet, was wir aktuell erleben müssen.
Radikale Religion nur durch Taten
Frage ich junge Leute, was sie mit dem 31. Oktober verbinden, ist die Antwort oft ein mitleidiges Achselzucken. Das lächelnde Gesicht drückt höfliches Verständnis für einen Sechzigjährigen aus. Was für eine Frage! Die Antwort ist doch wohl klar: „Halloween!“ Wir kennen keine Umfragen dazu. Die Erfahrungen im „sozialen Umfeld“ sind allerdings so. Es gelingt der (hier: evangelischen) Kirche nicht einmal im Ansatz, für ihren Reformationstag die Masse der Leute zu begeistern. Dabei ist die Theologie der sogenannten Reformation alles andere als ein weichgespülter Versuch gewesen, etwas zu verändern. Das Gegenteil ist richtig: Diese Theologie war und ist radikal.
Solche Radikalität wünschen wir uns von jenen, die die Religionen repräsentieren. Wir wünschen uns, dass die Kirchen im besten Sinne zu Gotteshäusern werden. Sie sind nicht ausschließlich gebaut worden, um dort zu taufen oder zu beten. Sie sind hoch aufragende Gebäude des Christentums. Dazu gehören überzeugende Taten und nicht theologisches Gerede. Die großartigste verbale Bibelauslegung nutzt nichts, wenn sich nicht Taten mit ihr verbinden. Anstatt von der Enge des islamischen Glaubens zu predigen, sollten auch in christlichen Häusern Begegnungen mit Muslimen stattfinden. Regelmäßig und nicht nur an Feiertagen oder zu besonderen Anlässen. Nur durch das Beispiel wird das Christentum wieder glaubwürdig.
Verständnislose Worte
Auf der Seite evangelisch.de wird heute folgende Losung ausgegeben: „Mose wollte den Herrn, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach HERR, kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.“ (Zum Nachschlagen: 2.Mose 32,11.12.) Mit all dem Respekt, den wir gläubigen Menschen entgegenbringen, müssen wir dennoch die Frage stellen: wer um alles in der Welt soll so etwas verstehen? Warum diese Sprache? Warum tote Sprache? Wo ist die neue Bibel, die in unserer Sprache spricht? Die letzte „Erneuerung“ ist mehr als 500 Jahre her. Es wird hohe Zeit.
All die christlichen Feiertage, die sukzessive ihre eigentliche Bedeutung einbüßen, werden sich mehr und mehr in ihr Gegenteil verkehren. Sie werden beweisen, dass es den Kirchen nicht wirklich um das „bessere Leben“ geht, sondern um sich selbst. Das ist gefährlich, weil dadurch auch die Substanz des Christentums verlorengehen könnte. Halloween ist heute schon bedeutender für ganz viele als der Reformationstag. Das wird sich fortsetzen.
Ein „Haus für alle Völker“
Wenn die Kirchen nicht offener werden, verständnisvoller, reformatorischer – dann wird es Kirchen in heutigem Verständnis zukünftig nicht mehr geben. Mit den Worten beginnt Veränderung. Seien es 95 Thesen oder tausend, das ist gleichgültig. An einem Wort könnten sich Christen immer orientieren. Es ist das Wort, das Jesus im Tempel denen entgegenhielt, die Geschäfte machten und das Haus Gottes missbrauchten. Er sagte, dass der Tempel ein „Haus für alle Völker“ sei.
Ersetzen wir nach unserem Verständnis dieses Bibeltextes „Völker“ durch Lebensentwürfe. Oder Religionen oder Rassen oder Schichten. Dann wird klar, worum es ging und geht. Die Kirche hat sich einer permanenten Reformation zu unterwerfen, will sie dem christlichen Auftrag wirklich nahekommen. Die Leute wünschen sich durchaus die Führung durch Theologen, durch „Weise“. Sie werden sie aber nur dann akzeptieren und vor allem auch umsetzen, wenn diese Führung glaubwürdig daherkommt. Und nicht nur gepredigt wird. Das kann (fast) jeder.
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