Gezeigt wird das typische 0-1-0-1, das das Internet oft symbolisiert. Darauf steht der Text: "CDU | Lost in Neuland"

CDU | Lost in Neuland

Die CDU ist in der Bredouille, wenngleich sie damit nicht alleine ist. Was tun, wenn das Neuland plötzlich und unerwartet zuschlägt, jenes Phänomen, das man Internet nennt? Wenn wie aus heiterem Himmel irgendwelche jungen Leute ihre Meinung hinausposaunen. Ganz plötzlich. Wenn sie dazu ermuntern, wirklich wählen zu gehen. Damit konnte nun wirklich niemand rechnen.

Wenn es nicht so politiktheoretisch wäre, man müsste laut lachen. Annegret Kamp-Karrenbauer (AKK) ist ganz bestimmt nicht gegen die Meinungsfreiheit. Wer ihr das unterstellt, hat nichts Gutes im Sinn. Auch mit Despoten wie Orbán oder Erdogan hat sie nun wirklich nichts gemein. Sie hat indes den Youtube-Knall von Rezo offenbar immer noch nicht gehört. Zumindest scheint sie ihn bis dato kaum verstanden zu haben. Das ist nicht zu verstehen. Die Reaktion von Rezo schon. Die Einladung zum Gespräch hat er angenommen – und stellt Bedingungen. Wenn sich die beiden Parteien, CDU und SPD, in ihrer Klimapolitik auf einen anderen Weg begäben, dann würde er mit ihnen sprechen. Im Übrigen gehe es nicht um ihn, so schreibt der Master der Informationstechnologie, sondern um das Thema. Politiktheoretisch geht es ja auch nicht immer und überall um einen offenen Dialog. Das hat AKK kurz und knapp gegenüber der JU-Zeitschrift „Die Entscheidung“ klar gemacht.

AKK zum Ausschluss von Medien bei den Diskussionen der CDU. Quelle: "Die Entscheidung" (das JU-Magazin)
Offenheit sieht anders aus | Grafik „Berlin Direkt“

Das große Missverständnis

AKK hat Überlegungen angestellt, wie man junge Leute zur Räson bringen könnte. Das war einen Tag nach der Niederlage bei der Europawahl. Sie hat allen Ernstes öffentlich dargelegt, dass ein paar Tage vor einer Wahl nicht mehr gegen eine Partei Position bezogen werden dürfe. Das war ihre Kernaussage. Oder meinte sie implizit auch, dass keine Partei mehr auftreten dürfe und auch Medien allgemein nicht mehr für oder gegen eine Partei Position beziehen – wenige Tage vor einer Wahl? Also nicht mehr kommentieren, keine Umfragen mehr veröffentlichen oder nur, dass Rezo nichts mehr sagen darf? Sie hat sich rasch korrigiert; das ist gut so. Im Kontext mit der Rezo-Debatte so etwas öffentlich anzubringen, zeugt indes von größtem Chaos im Kopf. Man fragt sich unwillkürlich, ob sie die richtigen und auch starke Berater hat.

Der Youtuber Rezo in einem Screenshot während seines Videos "Die Zerstörung der CDU" | Quelle: Youtube
Zerstörung? | Quelle: youtube (REZO)

Das Internet ist mittlerweile längst kein „Neuland“ mehr. Angela Merkel hatte diesen Begriff benutzt, vor Jahren, als der US-amerikanische Präsident Obama in Berlin weilte. Indes, es wirkt so – und nicht nur bei der CDU und immer noch. Ein Beispiel dafür lieferte der kurze Zeit als Rettungsengel auserkorene Philipp Amthor. Er ist CDU-Bundestagsabgeordneter und auch 26 Jahre alt (wie Rezo, der Youtuber, d.Red.). Er allein sollte es richten nach dem Gau. Hat er aber nicht. Ja, es sei ein Video produziert worden. Nein, es werde nicht veröffentlicht.

Unzählige Male hat man ihn nach dem Grund dafür gefragt. Seine Antwort klang gar nicht 26jährig. Amthor erklärte altklug, es müsse eine inhaltliche Auseinandersetzung geben. Und die sei „manchmal länger als ein schnell geklicktes Youtube-Video“. Was aber soll das bedeuten? Das, was „schnell geklickt“ ist, ebenso schnell gestrickt wurde? Ist das die „Augenhöhe“, die viele junge Wähler sich wünschen? Wohl kaum.

„Besorgte Bürger“, links

Derartige Reaktionen diskreditieren alle ernsthaft „besorgten Bürger“, die es keineswegs nur rechts gibt. Ebenso diejenigen, die es sich komplett angesehen haben, nahezu eine Stunde lang. Hatte nicht AKK davon gesprochen, das Rezo-Video diskreditiere alle, die sich ehrenamtlich für die CDU engagierten? Viele junge Leute, durchaus auch Erwachsene, fühlen sich indes längst nicht mehr ernstgenommen. Das ist auch eine Form des Diskreditierung. Amthor sagt lapidar: „Da müssen wir besser werden“, wenn er auf das Kommunikationsdesaster des Adenauer-Hauses angesprochen wir.

Bayerns CSU-Chef Söder formuliert anders, meint aber das gleiche: „Wir müssen jünger, offener, cooler werden.“ Aber darum geht es denjenigen ja gar nicht, die sich mit dem Rezo-Video angesprochen fühlen. Und schon gar nicht jenen, die dessen vorgetragene Inhalte teilen. Es geht ihnen nicht primär um die Form. Die Inhalte sind es, die sie vor allem anderen beschäftigen.

Spahn zappt durchs Neuland

Nicht komplett angesehen hat sich das Rezo-Video Jens Spahn, das gescheiterte Zukunftsprofil der CDU. Er habe es, so outete er sich, „so um die zwanzig Minuten“ angeschaut. Hin- und her habe er gezappt, sagte er in der Talkshow „Lanz“. Das würde man ja beim Fernsehen auch so machen. Gleichwohl hat er in diesem Interview viel vom „Ernstnehmen“ gesprochen. Man müsse, so erläutere er gestenreich, sogar manchmal „für eine Sekunde annehmen, dass der andere auch recht haben könnte“. Rhetorisch fragt er schließlich, an Markus Lanz gerichtet: „Haben Sie es etwa ganz angesehen?“. Spahn lächelte. Lanz nicht: „Ja, ich nehme so etwas ernst. Dann schaue ich es mir auch ganz an.“

Neuland: so wenige User klicken Parteien und so viele "Influencer", grafisch aufbereitet. © zwozwo8
Zwei Galaxien voneinander entfernt | Grafik © zwozwo8

So ein Video, sagt Spahn, das sei etwas anderes als „an der Theke mit ein paar Leuten bei einem Bier“ zu diskutieren. Ach was! Bei knapp 14 Millionen Klicks – wer könnte ihm da widersprechen? Diese vermeintliche Erkenntnis soll aber etwas ganz anderes insinuieren. Spahn gibt den Staatsmann. Er will von der Verantwortung sprechen, die jemand habe, dessen Video so viele Leute sehen. Spahn selbst wurde noch in seinen Zwanzigern Bundestagsabgeordneter. Jung kam er nur wenigen vor, auch damals schon. Seine Sprache ist auch heute nicht sehr „jugendlich“. Sie ist weichgespült. Selbst sein „Es ist am besten, miteinander darüber zu sprechen“-Credo hat mit einem Eingehen auf das Gefühl, das Rezo mit seinem brillanten Video getroffen hat, nicht das Geringste zu tun. Spahns mit großer Bewegung einstudiertes Gestik wirkt gespielt. Die von Rezo nicht, dessen körperlicher Ausdruck, Gestik wie Mimik, wirken authentischer.

Fakten, Fakten – und Gefühle?

Was am meisten befremdet ist das Unvermögen, die jungen Leute zu verstehen; zu erfassen, was ihnen auf der Seele brennt. Deshalb sind die Reaktionen auch so falsch. Der größte Fehler die Arroganz in vielen Reaktionen. Das gilt nicht nur für Politik und Parteien. Auch Journalisten wie die Korrespondentin der „Rheinischen Post“ in Berlin, Kristina Dunz. Im Gespräch mit Lanz (in der gleichen Sendung wie Spahn) äußerte sie sich geradezu ängstlich: „Wenn das die Grundlage von Information und die Basis von Diskussionen ist, dann ist mir ein wenig Bange.“ Aber geht es überhaupt darum? Mitnichten. Es geht um die Tatsache, dass offenbar auch viele Medien an den jungen Leuten „vorbeischreiben“. Und solange das so ist, suchen diese sich ihre eigenen Plattformen. Die ganze Lanz-Sendung kann man sich hier ansehen.

Da ist der Vorwurf, Rezo habe nicht sauber recherchiert. Angesichts von Dutzenden von Quellen sowie O-Tönen von Wissenschaftlern ist das grotesk. Man könnte ihm allenfalls die „falschen“ Quellen vorwerfen. Das hat aber kaum jemand getan. Er vereinfache und habe gar die CDU „zerstören“ wollen. Nein, es ist eine andere Sprache, die Jugendliche und junge Erwachsene heute sprechen. Sie wollen auch keinen Geschlechtsverkehr vollziehen, wenn sie „fuck“ sagen. Das Wort „fuck“ hat längst seine Vulgarität verloren und wird in allen möglichen Kontexten verwendet. Man mag es mögen oder nicht, aber es ist so. Ebenso wenig wollen Jugendliche sich beleidigen, wenn sie sich gegenseitig mit „Alda“ ansprechen. Junge und jugendliche Leute in unserem Land haben das Gefühl, dass man sie nicht ernst nimmt. Das mag schon früher ebenso gewesen sein. Die Dimension heute indes ist eine andere als beispielsweise in den 1980ern. Das betrifft vor allem die Möglichkeiten, die das Internet bietet.

Das Neuland mischt mit

Die Straßen haben Hunderttausende vorwiegend junger Leute gesehen, in diesem und im vergangenen Jahr. Gegen das braune Pack von der sog. AfD bis zur NPD. Für mehr Aufmerksamkeit dem Klimawandel gegenüber. Gegen den „Upload-Filter“, zu dem sich Rezo übrigens auch geäußert hatte. Er hatte deutlich weniger Klicks, und das Video auch nur eine halbe Stunde lang. Dennoch haben sich Tausende mit Kommentaren beteiligt. Diese Dimension von Debatte und Diskurs gibt es mit den Parteien nicht. Auch nicht mit Gewerkschaften oder anderen Interessenvertretern. Diese Art der Diskussion – man mag sie für gut, schlecht oder inkompetent halten – findet statt. Zur Kenntnis genommen wird sie erst jetzt, dank des Rezo-Videos. Und das ist gut so.


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Es ergibt wenig Sinn, die Bedeutung des Kompromisses verbal zur Prämisse für ein Gespräch mit besorgten Leuten zu erheben. Das tun wir doch auch nicht mit den Ostdeutschen. Da heißt es: zuhören, verstehen lernen, Verständnis aufbringen, überzeugen, mitnehmen. Wer aber junge Leute abwatscht wie FDP-Lindner die „Fridays for Future“-Demonstranten („Das sollen mal besser die Profis machen“) oder ihnen beibringen will, was Demokratie eigentlich ist: der wird auf Granit beißen.

Immer mehr Jugendliche haben es satt, vertröstet und hingehalten zu werden. Und die Zahl der Älteren, die das ähnlich sehen, wächst ebenso. Mögen Sie sich im Neuland tummeln oder auch auf der Straße. Auch hier gilt: man mag es gut oder schlecht finden. Die Gesellschaft kann von den Rezos dieses Landes zumindest lernen, was es bedeutet, engagiert und emphatisch für eine Sache einzutreten. Mag sie im Ton dem einen oder deren anderen etwas schroff vorkommen: mehr Substantielles und weniger Politsprech würde auch in anderen Communities – neben Youtube – die Demokratie beleben und stärken.

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