Rezo | Kommunizierende Jugend
Da hängt Rezo in seiner Ecke ab und lästert gegen die CDU, die SPD, die FDP. So, wie es viele Jugendliche in vielen Ecken in zahllosen Gruppen tun. Und auf einmal ist die ganze Welt in Aufruhr. Womöglich hat er eine Zeitenwende eingeläutet, und die Neuland-Apologeten beginnen endlich zu begreifen, was im Netz abgeht.
Ich bin durch einen äußerst sachlichen Artikel in der FAZ auf dieses Video aufmerksam geworden. Er war kritisch, was den Inhalt betraf, aber keineswegs ablehnend. Überaus interessiert setzte sich der Journalist der besten deutschen Tageszeitung damit auseinander, was der 26-jähriger Youtuber Rezo da produziert hatte. Ein paar Tage später hatte auch der tägliche Herr von Altenbockum seinen Auftritt: von Kampagne war bei ihm die Rede, von einer AfD-Methodik, die in diesem Falle lediglich linksextrem sei. So las sich der Duktus seines „Kommentars“, in dem er Rezo nach allen Regeln der Inkompetenz auseinander nahm.
Rezo und die Reaktionen der FAZ
Es gehört schon eine gehörige Portion netzpolitischer Blindheit dazu, einem Typen wie Rezo so zu begegnen. Altenbockum schreibt von einer „Ladung Linkspartei“, dann schreibt er davon, Rezo komme mit einem „Angst-Schrecken-und-Apokalypsen-Rodeo“. Der Youtuber sitze in einer „Propaganda-Maschine“ und es mache viel mehr Spaß, „seine Netzherde für dumm zu verkaufen.“ Das bringe Likes. Abgesehen von der Sprache, der der Leiter Innenpolitik“ der FAZ da wählt: welch großes, großes Missverständnis, dem er da unterliegt. Und, ja, welche Inkompetenz.
Es wäre die herausfordernde Aufgabe für eine Doktorarbeit, all die einseitigen, verkürzten und nicht selten kampagneartig wirkenden Kommentare Altenbockums zu analysieren. Der ja jeden Tag, den Gott erschaffen hat, irgend etwas schreiben muss. Und sie dann mit seinen eigenen Vorwürfen gegen Rezo zu vergleichen: in der Methodik, der Wortwahl und dem Inhalt. Fraglich, ob dieser Redakteur der hoch angesehenen FAZ dabei kompetenter abschnitte als der Youtuber. Ganz anders, in der selben Zeitung, diejenigen, die offenbar verstanden haben, worum es wirklich geht. Nicht um eine Abrechnung mit Rezo, ebenso wenig um Fehler, die dort zu Recht ja auch kritisiert wurden. Sein Video reicht weit über die politischen Inhalte hinaus. Dagegen spricht natürlich nicht, was die FAZ anbietet: einen Faktencheck (für den man bezahlen muss, weil er sich hinter einer Paywall befindet).
Rezo und das liebe Geld
Eine solche Paywall hat Rezo nicht. Braucht er auch nicht. Denn er verdient offenbar gut mit seinen Youtube-Kanälen, von denen er zwei betreibt. Ihm indes die Tatsache anzukreiden, dass er wirklich Geld verdient, ist grotesk. Einigermaßen sachlich setzt sich Jan Hauser, Wirtschaftsredakteur der FAZ, damit in dem Artikel „Rezo, der Geschäftsmann“ auseinander. Dennoch wird Rezo darin unterschwellig unterstellt, er habe dieses Video lediglich publiziert, weil es gut für seine Marke sei. Das liest sich dann so: „Auch wenn er daran wohl nicht direkt verdient hat: Sie sind eine lohnende Investition in seine Marke.“ So what! Was wäre kritikwürdig daran? Änderte das etwas an der inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihm? Pikant, dass ausgerechnet auch dieser Artikel sich hinter einer Paywall versteckt. Was viele User zu amüsierten Kommentaren animierte.
Ein Artikel aus der FAZ vom Europawahl-Sonntag wird diese nicht zu Häme oder harten Kommentaren nötigen. Florentin Schumacher stellt in einem brillanten Artikel eine allzu berechtigte Frage. Warum, so schreibt er, war es ausgerechnet ein Youtuber, der die CDU nötigte, „der Jugend ihre Politik zu erklären“? Diesen Artikel kann man online vollständig lesen (ohne Paywall). Er hat die schlichte Überschrift: „Er nervt, weil er muss.“ Darin setzt sich Schumacher auch mit dem, sagen wir, Versagen der Journalisten auseinander. Er stellt vor allem Fragen (anstatt Rezo in die Mangel zu nehmen) an die eigene Zunft. Chapeau! Die für mich entscheidende Passage lautet: „Warum eigentlich Rezo und keine Journalistin? Wieso gelang einem Youtuber, was alle Redaktionen zusammen nicht hinbekommen haben, nämlich herumholpernde CDU-Mitglieder zu Videos zu nötigen, in denen sie erklären, dass ihre Partei nicht wirklich zerstört sei?“
Rezo und seine Wirkung
Ich kenne niemanden, den der Erfolg des Videos von Rezo nicht überrascht hätte, ihn selbst vermutlich ebenso. Bisher sind es elf Millionen Klicks (Stand 26. Mai 2019, 14:30 Uhr). Fast noch bemerkenswerter aber ist die Zahl der Kommentare unter dem Video. 171.000 mal haben Leute etwas geschrieben, begrüßt, abgelehnt oder einfach den Daumen hoch oder runter gezeigt. Rezo wollte einen „Diskurs“ beginnen. Das ist ihm gelungen. Er hat damit mehr Erfolg als alle Parteien zusammen. Schließlich konnte niemand damit rechnen, dass fast eine Stunde Politik derartig oft abgerufen wird. Es ist gleichgültig, ob jede/r sich das Video bis zuende angesehen hat. Es geht um etwas anderes.
Zahlreiche junge Erwachsene, ob im wahlfähigen Alter oder nicht, fühlen sich nicht respektiert. Rezo sagt dazu in seinem Video: „Ihr sagt doch immer, dass die jungen Leute mehr Politik machen sollen. Dann kommt doch damit klar, dass die jungen Leute Eure Politik Scheiße finden.“ Er kritisiert, dass oftmals Aktionen Jugendlicher von der sogenannten etablierten Politik abgetan werden.
„Dass Ihr auf diese Bürger und diese Proteste nicht mit inhaltlichen Argumenten, sondern mit Respektlosigkeiten, dummen Verschwörungstheorien und Unwahrheiten antwortet, sagt nämlich ’ne Menge über Euch und Eure argumentative Stärke aus.“
Rezo | Die Zerstörung der CDU
Kommunizierende Jugend
Das Video von Rezo richtet sich explizit auch gegen die sog. AfD. „Die Zerstörung der CDU“ heißt nicht, dass er diese Partei zerstören will. Er will erklären, dass sie sich selbst zerstört und schafft das aus seiner Sicht auf eindrucksvolle Weise. Die Sprache der Jugend ist anders als die der Generation 60 plus (zu der der Autor dieses Artikels auch gehört). Das ist eine Binsenweisheit. Altenbockum schreibt, dass jeder Like für dieses Video ein „Armutszeugnis“ sei. Das bedeutet zweierlei: er bestätigt so Rezos Sicht der Dinge und outet sich als jemand, der nicht über das geringste Verständnis von Netzkommunikation verfügt. Es ist beruhigend, dass mehrere Redakteure sich dem Thema „Rezo“ so sachlich nähern.
In einem Interview mit Bento erklärt Rezo die Headline des Videos. Und dessen Sprache: „Politischer Diskurs darf mit jedem Slang stattfinden. Auch mit der Sprache, die auf Youtube gesprochen wird.“ Warum sollten Jugendliche sich der etablierten Sprache der Politik oder des Journalismus traditioneller Prägung bedienen, wenn sie selbst anders spricht? Es hohe Zeit für Politik und Journalismus, sich von der Metaebene und sprachlichen Analyse weg zu bewegen. Stattdessen sollten sie die bemerkenswert kluge Analyse von Eckard Lohse verinnerlichen. Er beschreibt zwei Welten: hier die Parteien und ihre Social Media Kanäle, da Youtuber wie Rezo: „…in der Quantität, vor allem aber in der Sprache und Anmutung, wirkt das im Vergleich zu den Youtuber-Auftritten wie ein ins Netz gestelltes Ölgemälde. Hier begegnen sich zwei fremde Welten.“
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