#WM2019 | Frauen. Fußball. Freiheit.
Fußball-Weltmeisterschaft: Die WM der Frauen in Frankreich läuft seit ein paar Tagen. Unter dem Hashtag #WM2019 liefert sie stündlich unzählige Posts. Fußball im Korogocho-Slum in Nairobi, Kenia: das ist ein Versprechen. Und das kommt ganz ohne Hashtags aus. Das Leben von Irene Akiny erzählt die Geschichte dazu, die weit über den Sport hinaus in die Freiheit führt.
Fußball in den Slums von Nairobi
Um es vorwegzunehmen: Irene Akinyi hat es geschafft. Dass sie jemals eine Ausbildung machen würden, das stand nicht fest am Beginn ihres Lebens. Sie wurde in Korogocho geboren, dem drittgrößten Elendsviertel der kenianischen Hauptstadt. Erst durch Unterstützung anderer hat sie eine Ausbildung machen können.
Als ich Irene im vergangenen Jahr in Korogocho kennenlernte, einem der größten Slums in Nairobi, sagte sie einen Satz, den ich nie vergessen werde. Ich hatte sie gebeten, den Slum mit ihren eigenen Worten zu erklären, vor allem für diejenigen, die noch nie dort waren. Ihre Antwort hat mich regelrecht geschüttelt: „Also zunächst einmal: der Slum ist ein schöner Ort.“ Unsicher, ob ich ihre Antwort korrekt verstanden hatte, fragte ich nach. Ob sie mir bitte erklären könne, was sie damit meine. Sie wiederholte den Satz, wir sprachen in Englisch miteinander: „First and foremost: the slum is a beautiful place.“
„Der Slum ist schön“
Klar, es gäbe Gewalt und gefährliche Ecken dort, sagte sie, eher beiläufig. Und man müsse hier und da schon aufpassen. Besonders als Frau oder Mädchen könne es gefährlich werden. Ungewollte Schwangerschaften nannte sie als Beispiel oder frühe Zwangsverheiratung. Sie vermied erkennbar das Wort „Vergewaltigung“. Aber sonst sei es schön. Schließlich lebten dort auch ihre Mutter und die vier Geschwister und all ihre Freunde. Hier sei sie zuhause. Dass die unmittelbar neben dem Dorf verlaufende Müllhalde Quell von Krankheiten ist, erwähnte sie nur am Rande. Ebenso, dass der sich unterhalb des Mülls entlang schlängelnde Nairobi River allen Dreck der Welt mit sich schleppt. Der Dreck, in dem die Frauen dann die Wäsche waschen. Maschinen dafür besitzt niemand hier. Da ist Irene zuhause.
Ihr inzwischen ausgeprägtes Selbstbewusstsein hatte die junge Frau nicht immer. Lediglich die leise, fragile Stimme bei unserem Gespräch ließ noch etwas von ihrer schweren Kindheit erahnen. Der Vater war so früh gestorben, dass sie ihn kaum richtig kennenlernen konnte. So wurde ihre Mutter eine alleinerziehende Frau mit fünf Kindern. Das bedeutet im Slum, täglich auf der Suche nach Essen zu sein für die ganze Familie. An Schul- oder Berufsausbildung ist nicht zu denken. Es ging jeden Tag um das buchstäbliche Überleben. Das ist noch heute so für viele Tausend Slumbewohner.
Sie gehen auf die offene Müllhalde. Dort hoffen sie, etwas zu essen zu finden. Oder sie suchen Metall, Plastik oder andere Wertgegenstände, die sie verkaufen können. Das ist Knochenarbeit. Den brennenden Qualm des Mülls, den sie einatmen, macht sie krank. Atemwegserkrankungen sind hier weit verbreitet. Aber ein Kilo von dem Dreck bringt etwas mehr als einen Euro pro Tag. Nach sieben oder acht Stunden Arbeit im verseuchten Abfall der Reichen. Ohne den einen Euro am Tag ginge es einfach nicht.
Slum-Fußball: Die „Slum Footie League“
Fußball ist eine der wenigen sinnvollen Freizeitmöglichkeiten im Slum. Die Kinder basteln sich ihre Fußbälle meist selbst. Aus alten Stofffetzen etwa, zusammengehalten von seilartigen Schnüren. Sie spielen auf der Straße, vor dem Haus, in den Gassen. Ach Irene spielte schon als kleines Mädchen gern Fußball. Eine ihrer Freundinnen hatte ihr von einer Möglichkeit erzählt, in einer richtigen Mannschaft spielen zu können. Es gäbe eine Initiative, nicht weit vom Fluss, wo schon Hunderte von Kindern und Jugendlichen gespielt – und gelernt – hätten. Kein Hashtag, kein #WM2019, überhaupt nichts mit World Cup oder Weltmeisterschaft. Aber „Slum Footie“ gäbe es dort, ein richtiges Fußballturnier im Slum.
Entweder in einer reinen Mädchen- oder einer gemischten Mannschaft könne sie spielen, sagte die Freundin noch zu ihr. Hamilton Ayiera Nyanga, selbst einst Fußballer, hatte diese Initiative gegründet, in deren Fokus das Motto „Sozialer Wandel durch Fußball“ steht. Er war selbst im Slum geboren worden und dort aufgewachsen. Auch er musste als Kind auf die Müllhalde gehen, um essen zu organisieren. Jetzt bietet er Hilfe an. Er unterstützt Kinder und Jugendliche wie Irene dabei, ihren Weg aus dem Elend zu starten.
Fußball als Weg aus dem Elend
Als sie 16 Jahre alt war, absolvierte sie die Grundschule. Die dauert in Kenia nicht vier, sondern acht Jahre. Für das Gymnasium bezahlte die Ayiera-Initiative das Schulgeld. Ohne diese Unterstützung hätte Irene es nicht geschafft. Ihre Mutter hatte nicht das Geld, ihrer Tochter diese Ausbildung bezahlen zu können. Schließlich erreichte sie den sogenannten „O-Level“.
Mittlerweile hat sie mit eine Berufsausbildung absolviert und ist heute als Haar- und Kosmetikerin tätig. Heute noch unterstützt sie Mädchen in der Initiative und bezeichnet sich als Mentorin. So, wie sie das als Kind ebenso erfahren hatte. Wenn sie an ihre Zukunft denkt, malt sie ein buntes Bild. Sie möchte irgendwann unabhängig sein, vielleicht sogar den Slum verlassen. Vielleicht, so sagt sie, will sie sogar in einer anderen Gegend als Korogocho leben.
Nicht allein ihre Gedanken, sondern besonders die reale Möglichkeit dazu: das ist jene Freiheit, die Irene Akinyi auch durch den Fußball erreicht hat.
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