Ein geschlossenes Holzfenster mit dem Graffiti: "1989" © Tom Rübenach

DDR | Mauer. Diktatur. Mord.

Die DDR ist untergegangen. Sie ist vollkommen gescheitert. Das gilt sowohl politisch als auch ökonomisch. Für den DDR- und SED-Sozialismus mussten Menschen als Versuchskaninchen herhalten. Und wurden sogar ermordet. Bei lebendigem Leib wurden sie für eine Ideologie missbraucht, die am Ende komplett nackt da stand. Das sollten die Deutschen im Kopf haben, wenn es um das ganze Land geht. Und dabei selbstbewusst und laut die liberale Demokratie feiern.

Diffuser Minderwertigkeitskomplex

Eine Umfrage, die x-te zum Thema „Befinden der Ostdeutschen“, verwirrt. Sie wurde Anfang September von Infratest dimap veröffentlicht. In Sachsen und Brandenburg erklärten zwischen 59 und 66 Prozent der Leute, dass sie sich wie „Bürger zweiter Klasse“ behandelt fühlen. Das ist krass. Woran macht man ein solches Gefühl fest? An der wirtschaftlichen Lage offenbar nicht. Denn die bewertet in beiden Ländern eine übergroße Mehrheit als gut.

Straße mit Pflastersteinen © Tom Rübenach
Bevor die Landschaften blühten © Tom Rübenach

In Sachsen meinen das sogar 75%. Dreiviertel aller Sachsen sagt also: läuft gut mit der Wirtschaft. Gleichwohl fühlen sie sich als Bürger zweiter Klasse. Eine solche Logik kann nur dann funktionieren, wenn etwas anderes dazu kommt. In Sachsen finden auch 77 Prozent der Leute, dass Politik und Wirtschaft „immer noch zu stark“ von den Westdeutschen dominiert werden. Das sind diffuse Widersprüche, die zwangsläufig zu einem veritablen Minderwertigkeitskomplex führen müssen. Die Westdeutschen sind also „Erste Klasse“? Und die Ostdeutschen „zweite Klasse“. Wo ist der Kampfgeist des Jahres 1989 nur hin? Wo der Stolz auf die friedliche Revolution und auf die eigene Leistung?

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DDR-Stolz und Realität

Benjamin Immanuel Hoff, immerhin Chef der Staatskanzlei in Thüringen, befördert diese nebulöse Selbstwahrnehmung. Dabei holt er historisch ziemlich weit aus, wobei ihm ganz offensichtlich die Parameter abhanden gekommen sind. Sonst würde er gewiss nicht die Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Ostdeutschen nach dem Mauerfall vergleichen. In einem FAZ-Interview sagte er tatsächlich: „Wir reden zu Recht mit so viel Stolz von den Trümmerfrauen, aber wir reden nie mit Stolz über die Ostdeutschen seit dem Fall der Mauer.“

Zwei Zigelsteine liegen auf einem geriffelten Holzboden. Die Steine sind rotbraun, das Holz dunkelbraun. © Tom Rübenach
Zwei Teile, ein Fundament: Deutschland © Tom Rübenach

Er sollte das besser wissen. Aber demnächst stehen ja Wahlen in Thüringen an. Da schwingt er sich gern auf das Nebelhorn der „Abgehängten“. Er weiß natürlich, dass es (wirklich) zahllose Reden, Aufsätze, Filme, Features über die Leistung der Ostdeutschen gibt. Jeder halbwegs klar tickende Mensch auf der ganzen Welt respektiert grundsätzlich die große und starke Leistung der Ostdeutschen. Auf ihre (Lebens)Leistung können ganz viele in der ehemaligen DDR und Ost-Berlin stolz sein.

Keine Freiheit in der DDR

Das waren noch Zeiten, als die Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED, die (sogenannte) Linke, im Osten fröhliche Wahlergebnisse einfuhr! Die (sogenannte) AfD hat ihr längst das Wasser abgegraben. Die Leute, die heute die Rechtsradikalen wählen, haben vorher oft SED, PDS oder „Die Linke“ gewählt. Das sind die, die nicht wahrhaben wollen, dass eine liberale Demokratie vielfältig ist. Die, die nur ihre eigene kleine Welt wollen – und nichts, aber auch gar nichts, was anders ist, dulden.

Radioskala mit "Berlin-Ost" auf dem alten Radio. © Tom Rübenach
Informationsfreiheit in der DDR: Fehlanzeige © Tom Rübenach

Hinzu kommt: mit tatsächlicher Benachteiligung hat das nichts zu tun. Es ist kalte Abschottung. So wie der AfD-Führer Gauland keinen farbigen Nachbarn neben sich haben will, so wollen seine Wähler*innen niemanden, der anders ist als sie selbst. Der Gartenzaun als Staatsgrenze. Die Sprache als Waffe. Und der Hass wird zum Dämon gegen alles, was anderes ist. So war das DDR-Staatsdoktrin. Wer gegen die SED aufbegehrte, hatte schlechte Karten. Meinung-, Presse- oder Kulturfreiheit: Fehlanzeige. Westradio hören, etwa den RIAS, war verboten. „Eine freie Stimme der freien Welt“ sollten die „Arbeiter und Bauern“ im sozialistischen Staat nicht hören. Die Machthaben hatten Angst vorm eigenen Volk.

„Gleiche Lebensbedingungen“

Dabei sind Leute wie die Ministerpräsidenten Woidke in Brandenburg oder Kretschmer in Sachsen nun wirklich keine West-Importe. Sie machen sich stark für die Ossis. Jeden Tag fordern sie, erwarten sie, wollen sie. „Gleiche Lebensbedingungen“ beispielsweise. Eine Ostforderung indes ist das nicht, und ebenso wenig ein exklusives Recht derer in der Ex-DDR. Längst fordern auch im Westen Politiker mehr Geld, bessere Wahrnehmung von Benachteiligungen und Geld vom Staat. Wie beispielsweise NRW-Regierungschef Laschet.

In der „Süddeutschen Zeitung“ fordert er eine „Sanierung West“. Und nicht wenige in Westdeutschland erwarten zu Recht, dass benachteiligte Regionen auch dort (wieder) auf Vordermann gebracht werden. Noch ist kein Westdeutscher bekannt, der sich je als „Bürger zweiter Klasse“ bezeichnet hätte. Auch nicht, weil seine Straße Schlaglöcher hat oder oder viel zu viele Ostdeutsche längst in den westdeutschen Arbeitsmarkt „eingedrungen“ sind. Und man ihn einfach kollektiv missverstünde, nur, weil er aus dem Westen kommt.

Nicht jammern – Feiern!

Zitat von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck: "Demokratie ist liberal, oder sie ist gar nicht."

Es geht nicht um Ost oder West. Es geht um gleiche Lebensbedingungen im ganzen Land. Gegenseitiges Respektieren. Gemeinsames Kämpfen und Arbeiten. Die unglaublich vielen Milliarden Euro, die vor allem von den Westdeutschen für den „Aufbau Ost“ bezahlt wurden, sollen hier nonchalant ignoriert werden. Denn auch darum geht es nicht. Es geht um ernsthafte Auseinandersetzung mit- und untereinander. Dazu gehört übrigens auch die DDR-Geschichte mit all dem systematischen Unrecht.

Weit mehr als 100.000 DDR-Bewohner versuchten zu fliehen – nach dem Mauerbau. Mindestens 600 Menschen wurden vom Regime an der sogenannten „Staatsgrenze“ erschossen; nur, weil sie die DDR zu verlassen wollten. Wegen sonst nichts. Wer zuhause politisch kritische Dinge besprechen wollte, stellte das Radio laut, damit die Stasi nichts mitbekam. Und so weiter. Diese Aspekte werden sprichwörtlich links liegengelassen. Das ist nicht akzeptabel.

Zwei Blüten kurz vor dem Platzen, die sich scheinbar aufeinander zu bewegen. © Tom Rübenach
Aufeinander zubewegen. © Tom Rübenach

Die Fehler der Treuhand, der teils brutale Kapitalismus der Raubritter aus dem Westen nach der Wiedervereinigung: das ist oft und viel und lange diskutiert worden. Zu Recht geschah das. Das kann man weiter tun, aber das Jammern muss ein Ende haben. Es geht nicht um Lamentieren und Wehklagen. Es geht um Konzepte in einer sich vollständig ändernden Welt. Also um die Zukunft. Die Bereitschaft derer im Westen, sich um „den Osten“ zu kümmern und ihn zu verstehen wird in dem Maße zunehmen, in dem sich die Ossis endlich der Zukunft zuwenden. Es ist hohe Zeit, die liberale Demokratie und die Freiheit auch im vereinten Deutschland zu feiern.

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