Corona im Slum | Der SuperGAU
Corona in Deutschland sei – Stand heute – „beherrschbar“ geworden, äußerte der Bundesgesundheitsminister dieser Tage. Und korrigierte sich innerhalb von Sekunden selbst, gerade so, als habe er sich über sich selbst erschreckt. „Beherrschbarer“, sagte er schließlich. Das klingt immer noch nach guten Nachrichten, jedenfalls für uns und jedenfalls „Stand heute“.
Wie aber ist die Lage woanders? Sprechen wir einmal ausnahmsweise nicht schon wieder über Europa; nicht über Spanien, Italien oder Großbritannien. Reden wir ein Mal über unseren Nachbarkontinent. Gefragt, wie die Lage in den Ländern Afrikas aussähe und welches ihm ganz besonders im Corona-Kontext einfalle, antwortete der Entwicklungsminister an diesem Samstag im Deutschlandfunk: „Mir fällt Südafrika ein.“ Mit dem dortigen Staatschef habe er gerade telefoniert. Und dass insgesamt – mehr oder weniger – alle Staaten dort betroffen seien. Er nannte „Hotspots“: Marokko, Algerien, Ägypten, den Sahel. Slums nannte er nicht. Dabei ist die Lage dort schon jetzt verheerend.
„Hunger ist Mord“
Was dann folgte, war ein Interview mit unkonkreten Fragen und fast folgerichtig ebenso allgemeinen Antworten. Immerhin der Hinweis, dass Äthiopien, ein Staat mit über 100 Millionen Einwohnern, über lediglich hundert Intensivbetten verfüge. Man muss Gerd Müller, dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, fraglos seine Empathie zugute halten. Er scheint wirklich jemand zu sein, dem das Elend der Welt nicht gleichgültig zu sein scheint. Ob das indes in dieser großen Krise reicht, muss mit „Nein“ beantwortet werden.
Gleichwohl: er drückt sich nicht selten in deutlichen Worten aus. So, wenn er sagt: „Hunger ist Mord, wenn wir zuschauen, wie am heutigen Tag 15.000 Kinder verhungern.“ Wohltuend ist diese Offenheit, die ehrlich rüberkommt. Müller redet nicht nur jetzt, in Zeiten von Corona, den Reichen ständig ins Gewissen. Corona ist nicht nur jetzt eine Herausforderung an die Entwicklungspolitik. Es wird einen Paradigmenwechsel geben müssen, soll Entwicklungspolitik weiterhin für eine Verbesserung von Grundlagen für Millionen von Menschen stehen. Wenn diese es nicht vermag, daraus Schlüsse für die Ärmsten der Armen (nicht nur in den Slums) zu finden, muss sie als gescheitert erklärt werden.
Corona, Lehrer und das Wasser
Konsequenzen dieser Art aus der Pandemie zu ziehen ist dringend geboten. Denn während hierzulande viele Lehrer mit einer kurzzeitigen Veränderung des status quo überfordert zu sein scheinen, fällt andernorts der ohnehin wenige Unterricht durch Corona nun komplett aus. Nicht nur in afrikanischen Slums kümmert sich ein Lehrer nicht selten um fünfzig Schüler.
Fast vollständig unter ging in diesem Jahr der „Weltgesundheitstag“ am 7. April. Er wurde zumindest nicht dazu genutzt, auf die Lage in Afrika hinzuweisen. Dabei wäre ein solcher Tag überaus angemessen gewesen. Immerhin schrieb die „Welt„: „In überfüllten Flüchtlingslagern oder in Slums ohne Wasserversorgung sind Social Distancing und dreißig Sekunden Hände waschen für Millionen Menschen schlicht nicht möglich.“
„Zuhausebleiben!“ Wegen Corona?
Überall in den Elendsviertel dieser Welt leben sehr oft fünf, sechs, sieben Menschen auf gerade einmal 15 Quadratmetern. Sie leben nicht in Häusern, sondern in Wellblechhütten. Drinnen ist es stickig. Wenn es überhaupt einen Ventilator gibt, liefert der keine frische Luft. Kühlschränke gibt es in dieser Art von Zuhause ohnehin nicht. Klimaanlagen kennen Slumbewohner allenfalls aus den Erzählungen der Reichen oder aus dem Internet. Nicht einmal fließendes Wasser ist vorhanden; sauberes schon gar nicht.
Lokal gestartete Initiativen wie die von Hamilton Ayiera dürfen sich derzeit nicht einmal um die Ärmsten der Armen kümmern.
Das Wasser holen sich die Leute aus vereinzelten Wasserstellen. Es sind einfache Wasserhähne, an denen sie auch in normalen Armutszeiten schon mal Schlange stehen müssen. Dahin kommen sie mit Zehn-Liter-Kanistern, die sie teils weite Strecken nachhause bringen müssen.
Und jetzt, in der Corona-Zeit? Jetzt reicht es hinten und vorne nicht. Täglich Händewaschen, mehrfach bitte und gründlich. Mit Seife, sonst bringt es ja nichts. Wie soll so etwas gehen in einem Slum? Die Leute dort machen sich größte Sorgen. Dass zu allem Überfluss auch noch die Schulen geschlossen sind, ist kaum zu bewältigen. Denn neben dem Unterricht bedeutet die Anwesenheit in der Schule für die Familien auch eine Entzerrung der engen Wohnverhältnisse. Zudem bekommen viele Kinder in oder nach der Schule das Essen, das es zuhause nicht gibt. Darum hat sich auch die Ayiera-Initiative (siehe Video oben) bisher gekümmert. Die ist jetzt geschlossen – wegen Corona.
Corona-Message aus dem Slum
60% aller Bewohner von Nairobi leben in Slums. Ich habe Freunde in Korogocho. Das ist der zweitgrößte Slum in Kenias Hauptstadt. Dort allein leben 300.000 Menschen auf engstem Raum zusammen. Drum herum schlingert sich eine ewig große Müllhalde wie eine zu eng angelegte Halskrause. Es stinkt zum Himmel. Viele Leute gehen trotzdem mitten rein in den Dreck, um nach Essen zu suchen. Oder nach etwas, das sie irgendwie noch zu Geld machen könnten.
„Die Leute im Slum haben Angst, eher an Hunger als an Corona zu sterben.„
Message aus dem Slum Korogocho
Jetzt aber ist Corona. Jetzt sollen sie bitte zuhause bleiben. Und sich die Hände fünfmal am Tag waschen. Mit Seife. Das sei wichtig für die Hygiene und hülfe, die Verbreitung von Corona zu verlangsamen – oder gar zu verhindern. Das klingt fast allen wie Hohn in ihren Ohren. Ohne Arbeit, so schreibt mir ein Freund per Messenger, droht Hunger im Slum. Ein größerer als den, den sie ohnehin schon immer kannten. Und Hunger, so hat es unser Entwicklungsminister ausgedrückt, ist Mord.
Seife, Essen, Überleben
Toiletten, Badezimmer, Wasserhähne – all dies wird von vielen Menschen in Elendsvierteln gemeinsam genutzt. Das ist gewiss kein Schutz gegen Corona. Mein Freund schreibt, dass sie Seife und viel mehr Wasser bräuchten. Einige junge Erwachsene kratzen das wenige Ersparte zusammen, das sie haben und gehen auf den Markt. Dort kaufen sie selbstgemachte Flüssigseife. Sie verteilen es aus Kanistern in kleine Plastikfalschen für die Kinder, die sie kennen. Sie warten nicht bloß auf Hilfe von außen.
Das aber, so schreibt mein Freund, reicht nicht: „Die Leute müssen doch auch was essen. Wie sollen sie sich Essen kaufen, wenn sie zuhause bleiben müssen und nicht raus dürfen?“ Und dann: „Die Leute im Slum haben Angst, eher an Hunger als an Corona zu sterben.“ Und das wäre dann Mord.
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