Deutschlandfahne - © Tom Rübenach

DDR | Der antidemokratische Imperativ

Unrechtsstaat DDR: Was wir aus 30 Jahren Deutscher Einheit lernen können ist schnell erzählt, vielleicht sogar in einem einzigen Satz: Das System der Liberalen Demokratie ist jedem anderen überlegen. Weil es der Natur des Menschen am nächsten kommt. Und weil es die Würde jedes Einzelnen am systematischsten achtet und schützt.

Es gibt keinen Kompromiss, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht. Beide sind alternativlos. Selbst das ist nicht undemokratisch, denn die überwältigende Mehrheit in unserem Land sieht das so und wählt auch so. Extreme und extremistische Parteien machen nicht einmal ein Fünftel aller Wähler aus; schon gar nicht aller Wahlberechtigten. Die Alternativlosigkeit ist also frei und demokratisch zustande gekommener Konsens von Demokraten – gegen jeden Versuch, Freiheit und Menschenwürde zu vernichten.

Akte des Staatssicherheitsdienstes der DDR über die Einreisesperre für Thomas Schwarz vom 26. 9. 1987 | Quelle Stasiunterlagen-Behörde
So gingen SED und Stasi mit „Feinden“ um | Quelle: BStU

Dass die DDR ein Unrechtsstaat war, bedeutet nicht, dass alle DDR-Bürger sich des Unrechts schuldig gemacht hätten, schon gar nicht des systematischen Unrechts. Sie haben aber in einem Staat gelebt, der das Recht systematisch gebrochen hat, indem er es der Willkür anheim gab.

Hier drucke ich einen Auszug aus meinem gerade erschienenen Buch „Wo Recht zu Unrecht wird | Begegnungen mit der Staatssicherheit der DDR“ ab. Der nachfolgende Text ist Teil meines Nachworts dieses beim Bonner Bouvier-Verlag erschienenen Buches.


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Das Geleitwort zu diesem Buch hat Rainer Eppelmann verfasst. Eppelmann ist – seit ihrer Gründung 1998 – ehrenamtlicher Vorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. In der DDR war er unter anderem Pfarrer der Samariter-Gemeinde in Ost-Berlin, die Menschenrechtsaktivisten Raum zur Entfaltung bot. Von 1979 an strömten Jugendliche aus der ganzen DDR in seine Kirche; unter anderem, weil dort die als legendär bekannten sogenannten „Bluesmessen“ stattfanden. In seinem Geleitwort zum Buch „Wo Recht zu Unrecht wird“ schreibt er unter anderem:

„Thomas Schwarz vermag es, mit seinen ebenso spannenden wie unterhaltsamen Erinnerungen einen einmaligen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich die Oppositionsbewegung in der DDR der 1980er-Jahre aus der Sicht eines westdeutschen Journalisten und politisch denkenden Menschen in zahlreichen Begegnungen und gewachsenen Verbindungen darstellte.“

Aus dem Geleitwort von Rainer Eppelmann
Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Über den Unrechtsstaat DDR und die Phobie von Diktatoren gegenüber der Freiheit

„Demokratie ist liberal, oder sie ist gar nicht.“

Das hat Altbundespräsident Joachim Gauck einmal gesagt. Er war der erste Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.

Der Kampf für Menschenrechte, freiheitliche Demokratie und Pluralismus ist keinesfalls mit der Vollendung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 zu Ende gegangen. Historisch betrachtet war dieser Tag ein bedeutender Einschnitt; das von nicht wenigen postulierte „Ende der Geschichte“ war er nicht.

Die DDR trat dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei. Damit wurden auch diejenigen frei, die in der ehemaligen Diktatur unterdrückt worden waren. Die Kommunisten hatten verloren. Die Diktatur war besiegt und dem Recht eine Gasse geebnet. In diesem Buch habe ich versucht, die Unterdrückungs-mechanismen aus Sicht eines im Westen aufgewachsenen Bürgers zu beschreiben und auch, wie ich die Unfreiheit anderer erlebt habe.

Kein Triumphzug der Freiheit

Die ostdeutsche Freiheit kam nicht von selbst. Hätten nicht unzählige Bürger- und Menschenrechtler jahrzehntelang für die Freiheit gekämpft, hätte womöglich die Mauer noch lange gestanden, und die Unterdrückung wäre fortgesetzt worden. Sicherlich haben die Veränderungen der 1980er Jahre in der ehemaligen Sowjetunion mit zum Sturz der Diktaturen im Osten und Südosten Europas beigetragen. Ohne den Mut der Menschenrechtler allerdings hätte es viel länger gedauert.

Weltweit gesehen hat es einen Triumphzug der Freiheit indes nicht gegeben in den vergangenen dreißig Jahren. Russland und sein Führer Putin ersticken selbst zarteste Versuche der Freiheit im Keim. Demonstrationen sind faktisch verboten. Die sogenannten Wahlen oder Volksabstimmungen sind eine Farce. Meinungs- und Pressefreiheit existieren nicht. Regierungskritiker werden ermordet. Pseudolegitimiert unterdrückt das Regime in Moskau alles, was nicht zu hundert Prozent seinen eigenen Vorstellungen entspricht.

Erschienen im Bouvier-Verlag, Bonn

Hongkong, Tibet, Taiwan

Ein anderes Riesenreich mit weit über einer Milliarde Menschen hat sich auf den Weg gemacht, Unterdrückung zu seinem stärksten Exportartikel zu machen. „Made in China“ erlangt so eine vollkommen andere Bedeutung. Es steht längst nicht nur für billige, schwarz-rote Notizbücher. „Made in China“ steht ebenso für ein – nicht nur die liberalen Demokratien – bedrohendes System. Es produziert Metastasen der Manipulation und Unterdrückung. Dies ist deshalb so gefährlich, weil sich diese antidemokratischen Geschwüre kaum bemerkbar vermehren, aber gleichzeitig stetige Wirkung erzielen.

Wie Russland missachtet auch die sogenannte „Volksrepublik“ China das Völkerrecht. Die Machthaber bedrohen nicht nur Staaten, die nach Unabhängigkeit streben, sondern auch solche, die bereits unabhängig sind. Hongkong, Tibet, Taiwan: Dies sind nur einige Beispiele für den Machthunger Pekings. Ganze Bevölkerungsgruppen werden wie Tiere unter unmenschlichen Bedingungen in Massenlagern gehalten und „umerzogen“. Das tun Machthaber, die Angst vor Kontrollverlust haben.

Der türkische Präsident Erdogan ist ebenso ein Beispiel für einen schwachen Führer, der sich vor echter Meinungsvielfalt fürchtet. Seit seiner ersten Wahl zum Ministerpräsidenten 2003 hat er Stück für Stück jene Rechte abgebaut, die ihm gefährlich werden könnten. Der Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, spricht von einer „zivilen Diktatur“ in der Türkei.

Nahezu 200 Journalisten waren oder sind noch immer in diesem Urlaubsland inhaftiert. Die Regierung behauptet dennoch, es gebe nicht einen einzigen Journalisten, der für das Schreiben von Nachrichten in der Türkei gefangen gehalten werde. Allein diese Aussage beschreibt das Selbstverständnis von Feinden der Freiheit nahezu perfekt. Die Wahrheit wird so lange umgedichtet, bis sie in das eigene Unterdrückungsmuster passt.

Schwache Diktatoren

Zu diesen, unsere Freiheit bedrohenden Staaten, gesellen sich Feinde im eigenen Land. Sie agitieren, manipulieren und morden sogar. Sie sind ebenso schwach wie die Diktatoren. Ihre Methoden zeugen von geringer Überzeugungsfähigkeit, sonst würden sie sich dem fairen, demokratischen Diskurs stellen. Sie sind gleichzeitig gefährlich, weil sie niederste Instinkte verunsicherter Menschen an- sprechen und diese zu manipulieren versuchen. Hätten die Rechtsradikalen von AfD bis NSU ein System zur Hand, mit dem sie Andersdenkende unterdrücken oder gar umbringen könnten, sie würden keine Sekunde zögern.

Wer einem die Freiheit raubt, ist ein Freiheitsräuber; er mag sich selbst nennen wie er will. Es ist gleichgültig, ob dies links, rechts, militärisch oder sonstwie verbrämt wird. Je brutaler ein Regime seine eigenen Leute unterdrückt, desto schwächer ist es in Wirklichkeit. Starke Staatsmänner und -Frauen fürchten sich nicht vor dem eigenen Volk. Sie nehmen Pluralität und Vielfalt nicht nur an; sie fördern und fordern sie sogar.

Die Bürger- und Menschenrechtler in der DDR und Ost-Berlin haben niemals Gewalt angewendet, und das war ihre eigentliche Stärke. Denn sie hatten es auf der Gegenseite mit einem System zu tun, dass ohne die Anwendung von physischer und psychischer Brutalität nicht hätte überleben können. Gerade darin aber kommt die tiefsitzende Phobie aller Diktatoren vor der Freiheit des Einzelnen zum Ausdruck.

© Thomas Schwarz „Wo Recht zu Unrecht wird | Begegnungen mit der Staatssicherheit der DDR“, erschienen im Bouvier-Verlag Bonn 2020

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