Symbol der Kirche: Das Kreuz auf der Erpeler Ley | Foto © Tom Rübenach

Kirche | Der Verlust von Moral und Glaubwürdigkeit

Wer nur Zynismus für die derzeitige Lage der Katholischen Kirche übrig hat, möge sich das Weiterlesen sparen. Hier schreibt einer, der als Jugendlicher Messdiener war und nach wie vor unter dem Zerfall der Autorität und dem moralischen Niedergang der Katholischen Kirche leidet.

Vor einigen Tagen ist das IT-System des Kölner Amtsgerichts zusammengebrochen. Es hatte für all die, die aus der Katholischen Kirche austreten wollten, zusätzliche Termine freigeschaufelt. Es waren so viele, die einen Online-Termin machen wollten, dass das System es nicht verkraftet hat. Das Amtsgericht hat so etwas noch nie erlebt.

Abstimmung über die Kirche

Es gibt kaum eine andere Möglichkeit als den des Austritts, um „seiner“ Kirche etwas klarzumachen: Wenn Ihr Euch nicht wieder auf den Weg der Moral macht, seid Ihr uns los. Aber: Mitsprache, demokratische Beteiligung, gar echte Mitbestimmung, all das ist für dieses archaische Wesen immer noch tabu. Abgesehen von wenigen Ausnahmen haben die Laien den Mund zu halten. Wünsche dürfen gern geäußert werden. Das aber reicht Millionen Gläubiger nicht mehr.

Das Prinzip der Kirche ist de facto: Was nicht passt, wird nicht gemacht; bestenfalls wird es ignoriert.

Es sind besonders die Alten, die unter der „Mutter Kirche“ leiden. Wie beispielsweise der alte Mann aus einem rheinischen Dorf, der seine Goldene Hochzeit plant. Die drei Kinder sind nicht nur in alle Himmelsrichtungen verstreut, sie leben sogar auf unterschiedlichen Kontinenten.

Selbstverständlich will das Ehepaar diese Feier nicht nur weltlich begehen. In die Heimatkirche soll es gehen, an jenem Tag, an dem auch alle Kinder und Enkel da sein würden. Dahin, wo sie sich vor bald fünfzig Jahren das Ja-Wort „vor Gott“ gegeben haben. Beide sind seit Kindertagen nicht einfach nur Mitglieder dieser Kirche. Sie waren immer auch Kirchgänger, trotz aller Kritik. Regelmäßig beten, singen, die Kommunion empfangen – das gehört für sie zum normalen Leben. Fast so wie einkaufen oder in Urlaub fahren. Ohne das wäre es für sie nie ein „richtiges“ Leben gewesen.

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ThomasSchwarzBonn unterstützt Jugendliche im Slum Korogocho in Nairobi. | © zwozwo8

Dann eben ohne Kirche

Recht optimistisch, wie beide grundsätzlich sind, fragen sie bei ihrem Pastor an. Sie hätten nun endlich einen Termin gefunden, an dem die ganze Familie zusammenkommen könnte. Einer sei Arzt, der sei einfach nicht so flexibel. Und so weiter. Aber es wäre schön, wenn das klappen könnte. Schließlich sei ja die Familie eine der wichtigsten Säulen der ganzen Gesellschaft, aber auch der Pfarrgemeinde. Und sie beide, das sei ja klar, könnten sich das ohne eine Messe so gar nicht vorstellen.

Nichts zu machen. Der Tag, den sich die beiden ausgesucht hätten, sei nicht vorgesehen im Gottesdienst-Plan. Die Pfarrgemeinde sei groß, und er könne da keine Ausnahme machen, beschied sie der Pastor. Alles nach dem Motto: Wo kämen wir denn hin…

Die Goldene Hochzeit fand schließlich ohne Gottesdienst statt. Gebetet haben sie trotzdem. Mit der ganzen Familie – und ohne Pastor. Er hatte die beiden nicht respektiert. Sie waren ihm gleichgültig.

Es sind diese Beispiele unter vielen anderen, die die doppelte – und damit verlogene Moral – der Kirche zeigen. Wie sehr wird die Familie doch als der Kern jeder Gesellschaft gepriesen und gefeiert! Im Konkreten aber spielt sie dann eben plötzlich keine Rolle. Solches Verhalten wird weder akzeptiert noch verstanden.

Vor einem schwarzen Hintergrund an einer Mauer stehen drei stilisierte, weiße Gestalten. Über und hinter ihnen steht das Wort "Kirche". Foto © Tom Rübenach
Nicht die Gläubigen, die Kirche wendet sich ab. | Foto © Tom Rübenach

Kirche will keine echte Partizipation

Die Deutschen Bischöfe haben auf ihrer Tagung wieder und wieder vom sogenannten „Synodalen Weg“ gesprochen. Er soll ein Reform-Prozess sein. Das Tempo geben indes nicht die aufgeschlossenen Bischöfe vor. Es sind die Verweigerer um den rechtskonservativen Kölner Patriarchen Wölki, die die eigentliche Macht haben.

Wie sonst käme ein so maues Ergebnis jenes Treffens zustande, von dem sich nicht nur die Initiative Maria 2.0 so einiges erwartet haben? Man habe auf Wölki keinen Einfluss, müsse das „tolerieren“, was er mache, heißt es. Das klingt wenig bis gar nicht nach Fortschritt.

Nicht die Gläubigen kehren ihrer Kirche den Rücken. Es ist die Kirche, die sich abwendet.

Die Kölner Theologin und Sprecherin der dortigen Maria 2.0-Initiative, Maria Mesrian, appelliert – an die Bischöfe gerichtet: „Sie müssen einfach verstehen, dass da gerade eine Zeitenwende stattfindet.“ Wie aber könnten Leute wie Wölki und seinesgleichen etwas von dem verstehen, was bei den Gläubigen stattfindet? Es gibt in Köln keine Gemeinsamkeit von Klerus und Laien. Sie verstehen es nicht, weil sie es nicht wollen. Und an keinerlei Partizipation der Laien interessiert sind.

Umdeutungen der Bibel

Die mächtigen Kirchenoberen haben Angst vor der Demokratie. Sie fürchten um ihre Privilegien. Die Reaktionären in der Kirche fürchten, man könne ihnen etwas wegnehmen. Dabei geht es nicht um eine Laien-Revolution. Es geht einfach nur um die zeitgemäße Interpretation der „Frohen Botschaft“.

Davon schwang viel mit, damals, als Franziskus zum Papst gewählt wurde. Auch ich war begeistert. Ich hatte gewissermaßen den Eindruck, die Kirche wolle mich „zurückholen“. Das war aus heutiger Sicht geradezu infantil.

Dabei brauchen die Kirche, das Wort Gottes, das Evangelium vor allem eins: Eine neue Sprache. So schwer kann das nicht sein für Leute, die es in vielen Jahrhunderten wieder und wieder verstanden, die Bibel jeweils zu ihren Gunsten umzudeuten und zu interpretieren. Nur, dass es jetzt nicht darum gehen kann, weiter auf den eigenen Vorteilen zu bestehen. Jetzt geht es ans Eingemachte. Da spielen auch die demokratische, aufgeschlossene und diverse Gesellschaft eine wichtige Rolle.

Frauen der Initiative "Maria 2.0" schlagen ihre Thesen an eine Kirche in Paderborn. | Foto © Maria 2.0
Frauen der Initiative „Maria 2.0“ schlagen ihre Thesen an eine Kirche in Paderborn. | Foto © Maria 2.0

Die Leute laufen der Kirche davon

Die Frauen-Initiative hat ihre Thesen an über 1000 Kirchen angebracht. Mechthild Exner-Herforth von „Maria 2.0“ stellt fast verzweifelt fest: „Wir haben eklatante Missstände in der Kirche.“ Die Leute „laufen uns einfach davon.“ Das, was die „frohe Botschaft“ ausmache, werde „in keiner Weise mehr in der Kirche gelebt.“ Stattdessen werde „vorrangig Starrheit“ gelebt. Deshalb verließen so viele Menschen die Kirche.

Es gehe darum, „Veränderung zu initiieren“, so Exner-Herforth. Bei aller (unrichtigen) öffentlichen Wahrnehmung als geradezu revolutionär beteuert Exner-Herforth glaubhaft, worum es – nicht nur – den Frauen geht.

Es gehe, so sagt sie, Maria 2.0 nicht darum, jetzt alle Punkte „durchzudrücken.“ Geradezu im Duktus der Bergpredigt fügt sie hinzu, man wolle „eine Kirche bauen, die ein Dach für viele bildet.“ Sie grenzt sich und ihre Initiative keineswegs ab. Dazu gehörten „sowohl Bewahrer als auch Reformer“. Es könne aber „einfach nicht sein, dass wir stehenbleiben, wo wir sind.“

Hier können Sie die Thesen nachlesen.

Die Kirche hat keine Zeit mehr

Sollten aus den Ereignissen der vergangenen Jahre keine fortschrittlichen Schlüsse gezogen werden, ist es zu spät. Die Kirche wird es dann in wenigen Jahrzehnten – manche sagen in nur zwei – nicht mehr geben. Nicht in dieser Form, und auch nicht mit diesen ungeheueren Privilegien. Die Gotteshäuser werden noch leerer als heute sein. Die einst mächtige Katholische Kirche würde zu einer Sekte verkommen.

Wir brauchen eine „Auferstehung der Tat“. Und das nicht nur an Ostern.

Wer, wie der Verfasser dieses Artikels, bei seinem Kirchenaustritt vor Jahren darauf gehofft hatte, dass dies wieder „seine Kirche“ werden könnte, sieht sich ge- und enttäuscht. Mit jedem Jahr schwand Hoffnung, selbst Franziskus überzeugt kaum noch. Auch dann nicht, wenn er wie gerade erst trippelnde kirchenrechtliche Schritte geht, etwa mit ein wenig mehr Möglichkeiten für Frauen.

Die Kirche verlassen bedeutet keinesfalls, gottlos geworden zu sein. Man ist und bleibt – in meinem Fall – katholisch. Schließlich ich bin getauft. Und gegen dieses Sakrament haben nicht mal Wölkis dieser Kirche irgendwelche Macht.

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