Das Holocaust-Mahnmal in Berlin. | Foto © canva

Der 9. November und unsere Verantwortung

Das Gedenken an den „doppelten“ 9. November fällt uns Deutschen nach wie vor schwer. Wie sollen wir diesen deutschesten aller Tage, den 9. November, begehen – den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 auf der einen und die verbrecherischen Pogrome 1938 der Nazis auf der anderen Seite? Die Antwort ist klar: Es ist eine unmögliche Kombination; es ist nicht denkbar. Dieser Tag ist die fleischgewordene Bipolarität deutscher Geschichte.

Die singuläre Barbarei und Verbrechen in der Gegenwart

Diese singuläre Barbarei durch die Nationalsozialisten – nicht die „Faschisten“, wie vor allem Linke es immer wieder nennen –, ist mit nichts vergleichbar in der Geschichte. Der 9. November war ein einzelner Baustein des Terrors, nicht einmal „nur“ sein Anfang. In der Nacht der Pogrome vom 9. November waren Hitler und seine Nazis bereits fünf Jahre an der Macht. Das Nichtstun der Leute damals in dieser Nacht und in den Tagen danach mag niemand beurteilen, der nicht dabei war. Die meisten von ihnen müssen damit leben, dass sie nichts unternommen haben. 

Aber was ist heute? Wie gehen wir mit Autokratien und Diktaturen in der Gegenwart um? Wie mit illberalen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, beispielsweise mit Ungarn und seinem Regierungschef Orbán, dem unchristlichen Zerstörer. Diese Frage stellt sich heute ebenso wie zu Zeiten der DDR und anderen Ost-Block-Staaten.

Der Versuch des damaligen Bundeskanzlers Kohl, eine vermeintliche Arroganz der Wessis gegenüber dem Osten zu glätten, schlug fehl. Musste sie auch. Er hatte sinngemäß gefragt: Wie hätten wir uns (im Westen) denn gegenüber der Diktatur verhalten, hätten wir im Osten, in der DDR, gelebt? Diese Frage ist illegitim. Denn sie stellt eine nicht zu beantwortende Frage. „Was wäre gewesen, wenn …?“ kann niemand beantworten. Das gilt für das politische ebenso wie das persönliche Leben. Es ging vielmehr um die Frage, wie sich die Demokraten im Westen gegenüber dem diktatorischen Regime in der DDR verhalten haben. Diese Frage aber wurde kaum gestellt.

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin. | Foto © canva
Mit dem 9. November 1938 wurde die Fratze des Nationalsozialismus noch deutlicher. | Foto © canva

Radikale Politik zuende denken

So müssen sich alle demokratischen Staaten die Frage gefallen lassen, warum sie nicht bereits 2014 härter reagiert auf Russland haben (siehe Zeitgrafik unten). Die historischen Parallelen mit Hitlers Vorgehen indes waren damals unverkennbar, etwa wie im Kontext der Olympischen Spielen in Berlin 1936. Hier wie da wurde einem Diktator und einer Diktatur gehuldigt, Und die allermeisten haben weggesehen. Das gilt nicht nur für die Politik. Auch wir selbst müssen – nicht nur in diesem Fall – einfach häufiger konkrete Politik zuende denken – wie am Fall der zerstörerischen AfD oder des BSW. Professor Rudolf Korte spricht im Zusammenhang mit Populisten in Deutschland von „Empörungs-Unternehmen“. Das Wagenknecht-Konglumerat beschreibt er treffend und brillant als „links-autoritär“.

Es gilt ebenso für die Medien, die Unsummen für Übertragungsrechte  ausgegeben haben. Und jeder Einzelne, der sich die Spiele bei Chips und Bier angesehen hat, ist in der Mitverantwortung. Statt öffentlichen Druck zu erzeugen, auf die Straßen zu gehen, Kundgebungen abzuhalten, in den sozialen Netzwerken zu posten was das Zeug hält: Totenstille. Es brauchte keinen „9. November“, um die Absichten Russlands und Putins zu erkennen.

Der 9. November und unsere Verantwortung

Was hat das alles mit dem 9. November zu tun, dem Tag der Pogrome 1938 und dem Fall der Mauer am 9. November 1989? Vordergründig nichts. Es sind scheinbar weit entfernt voneinander liegende Geschehnisse. Und dennoch: Beide Daten und die damit verbundenen Ereignisse waren Fanale. Eines, das den weiteren Weg in Unterdrückung, Krieg und das singuläre Verbrechen des Holocaust ging. Das andere ein Fanal für die Kraft von Menschen, sich ihre Freiheit (wieder) zu erkämpfen.

Shara Wagenknecht agitiert. Das hat sie in der DDR gelernt. | Quelle: "Lanz", 22. Februar 2022
Shara Wagenknecht agitiert. Das hat sie in der DDR gelernt. | Quelle: "Lanz", 22. Februar 2022

Derlei Kämpfe für Menschenrechte und liberale Demokratie sind einer Frau wie Wagenknecht fremd. Als Stalinisten aus der DDR in die gesamtdeutsche Freiheit gesegelt – ohne jedes eigene Zutun – nutzt sie diese Freiheit ausschließlich, um gegen diese anzukämpfen. Dabei scheut sie sich vor keiner Agitation, sei sie auch noch so plump und verlogen (siehe Zitat oben aus der ZDF-Talkshow „Lanz“ aus dem Jahr 2022).

Aber selbst sogenannte Philosophen wie der Professor Precht gehören auch in die Kategorie der Agitatoren. Precht ist – was die wnigsten wissen – „nicht habilitiert. Er hat 1994 in Germanistik promoviert, aber es gibt keine Hinweise darauf, dass er eine Habilitation abgeschlossen hat“, schreibt Wikipedia. Eine Honorarprofessur indes unterscheidet sich von einer regulären Professur. Sie erfordert nicht die gleichen akademischen Qualifikationen wie eine Habilitation.

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"Professor" Precht antisemitisch?

Auch an diesem 9. November soll daran erinnert werden: Erst im vergangenen Jahr wurden Vorwürfe des Antisemitismus gegen Precht laut. Im Oktober 2023 sah sich Precht gezwungen, seine Honorarprofessor an der Leuphana-Universität in Lüneburg abzugeben. Die Studenten dort hatten ihm nicht nur eine einzelne Aussage vorgeworfen. Vielmehr sprachen sie von „Verbreitung von Falschinformationen von ihm als Person mit großer Reichweite„.  Das Studentenparlament der Universität sprach von „zutiefst antisemitischen Äußerungen im Podcast Lanz&Precht“. Memo: Der Honorarprofessor betreibt nach wie vor einen Podcast mit dem Showmaster Lanz im ZDF.

9. November: Der sogenannte Philosoph Precht ignoriert die Geschichte bei der Ukraine. | Screenhort
Der sogenannte Philosoph Precht über die Ukraine 2022. | Screenhort

Und was hat das mit dem 9. November zu tun? Mit den Nazi-Verbrechen oder dem Mauerfall? Wiederum sehr viel. Denn wer so viel Einfluss und Öffentlichkeit hat, der trägt eine besondere Verantwortung. Sie ist größer als die eines „normalen“ Bürgers. Jedes Wort wiegt dann schwerer. Jede Äußerung erlangt durch die Veröffentlichung höhere Gewichtung. Es ist eben ein Unterschied, ob sich mein freundlicher Nachbar, der gerade von der Nachtschicht nachhause kommt, beim Bäcker äußert oder jemand, dem Millionen von Menschen zuhören. Von dieser Art Verantwortung scheinen Lanz und Precht weit entfernt.

Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif

„Der 9. November mahnt uns.“ –  Dieser Satz wird in jedem Jahr an diesem Tag gesagt, geschrieben, gezeigt. Er bleibt dennoch richtig. Denn wenn es nicht jene historischen Daten sind, was denn sonst kann uns zu immer neuem Nachdenken bewegen? Verantwortung dürfen wir nicht nur von den Regierung erwarten oder von den Lehrern, den Polizisten oder Parteien. Verantwortung müssen wir zu allererst selbst übernehmen. Erst dann zeigen wir, dass wir verstehen, worin unsere „Bürgerpflicht“ wirklich besteht. Es reicht nicht, alle vier oder fünf Jahre wählen zu gehen und stolz zu verkünden „Ich hab’s getan!“. Das ist das Mindeste, was wir tun können. Mehr ist es nicht.

Wir müssen für unsere Freiheit laut sein und für sie tagtäglich auf die Barrikaden gehen. So, wie wir es tun, wenn wir unbedingt etwas (haben) wollen. Als ob wir jemanden oder ein Team anfeuern. So, als ob es ohne das nicht oder nur ganz schlecht ginge. Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif. Unsere liberale Demokratie ist schließlich nicht Fielmann. Sie ist ein zerbrechliches Wesen, das in dem Moment kaputtgeht, in dem wir es fallen lassen.

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