Deutschlandfahne - © Tom Rübenach

Gegenrede | Kein Riss durchs Land

Die Nazis sind unter uns. Wer mag das leugnen? Aber geht ein Riss durch unser Land? Mitnichten. 85 Prozent der Deutschen wählen sie nicht. Stattdessen stimmen sie für demokratische Parteien. Es ist hohe Zeit, das Gerede vom „Riss“, der unser Land teilt, zu beenden. Die Erzählung geht anders.

Der Faschist Höcke schreit wie Goebbels

Der ehemalige Geschichtslehrer Höcke, einer der Führer, schreit in seinem Buch ununterbrochen. Wer darin liest, hört Goebbels. Raubkopien sind angeblich einfach zu bekommen. Wer mag „für solch einen Dreck“, so wurde nicht selten gefragt, schon Geld ausgeben?

Gefragt, was er aus der Tat von Halle schließe, antwortete Professor Hajo Funke im ZDF-Interview: dies sei die Motivation eines „mörderischen Antisemitismus“. Dieser sei die „Kern-Ideologie der Rechtsextremisten und Neonazis“, auch in Deutschland. Klarer geht es nicht. Damit haben wir es zu tun. Die sogenannte AfD befördert diese Ideologie, indem sie sich nicht unzweideutig davon abgrenzt.

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Nazis mit „wohl temperierter Grausamkeit“

Es müsse „ein Ende haben mit der Hetze eines Björn Höcke“, sagt Prof. Funke. Als Beispiel zitiert er aus dem aktuellen Höcke-Buch, in dem er davon schreibe, „Millionen Menschen aus dem Land haben“ zu wollen. Dies solle geschehen, so zitiert Funke, „mit wohl temperierter Grausamkeit.“ Also, so schlussfolgert der Experte für Rechtsextremismus, „mit Sadismus.“ Das sind Vokabeln, die Nazis treffend beschreiben.

Medien, Politik und die Sicherheitsbehörden seien gemeinsam in der Verantwortung, sich dem entgegenzustellen. Er bezeichnet den 1. September vergangenen Jahres als „Fanal“. Damals war die sogenannte AfD mit Nazis und Hooligans aufmarschiert. Auch „Hitler“-Rufe waren damals zu hören.

Der schwache Präsident

Der Tag des Nazianschlags von Halle war gleichzeitig Gedenktag an die erste Montagsdemonstration in Leipzig. In seiner Rede dort hätte für den Bundespräsidenten eine Chance gelegen. Stattdessen sieht er „ein Land, in dem sich Risse auftun.“ Das spiegele sich nicht nur in Wahlergebnissen wider, sagte Frank-Walter Steinmeier. Mehr noch sähe man dies „in der Art und Weise, wie wir übereinander und wie wir über dieses Land reden.“ Das also sind die Risse, die unser Land spalten?

Deutschland-Fahne in Lakritz © Tom Rübenach
Die Deutschlandfahne gehört nicht den Nazis © Tom Rübenach

Ich hätte mir gewünscht, der Präsident wäre offensiver. Warum nicht: Ich sehe ein Land, in dem die überwältigende Mehrheit den rechten Hetzern nicht auf den Leim geht. Oder: Dieses Land ist eine stabile, liberale Demokratie. Sonst würden nicht 85 % solche Parteien wählen, die sich für Offenheit und Vielfalt aussprechen. Von all dem nichts. Stattdessen die selbe, äußerst bekannte Rhetorik wieder und wieder.

Die Nazis wollen Spaltung

Von einem Bundespräsidenten darf anderes, ja mehr erwartet werden. Statt dem Klang der eigenen Worte zu lange zu lauschen bliebe genügend Platz, die Realität zu beschreiben. Diese sieht in Deutschland nicht nach „Spaltung“ aus. Ich jedenfalls sehe sie anders. Hunderttausende, vielleicht Millionen in Ehrenämtern. Nach wie vor unzählige Freiwillige, die sich um Flüchtlinge kümmern; immer noch. Jugendliche, die kaum noch zu zählen sind, gehen für Klimaschutz und mehr Demokratie auf die Straße. Überwältigendes Engagement für arme und benachteilige Bürger allerorten. Das soll ein gespaltenes Land sein? Bloß, weil es Faschisten wie Höcke und rechtsradikale Parteien wie die sogenannte AfD gibt?

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Diese Erzählung entwickelt sich zum gefährlichen Unfug, womöglich gar zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Gewiss, niemand bei klarem Verstand leugnet die Gefahr von rechts. Keiner geht bei Wahlergebnissen von 15% und mehr für Nazis, AfD und andere Verfassungsfeinde zur Tagesordnung über. Es herrscht nicht eitel Sonnenschein im Land. Gleichwohl braucht es – zumal vom höchsten Repräsentanten unseres Staates – deutlich andere Akzente. Wer die Rede eines Bundespräsidenten hört, darf mehr erwarten als den Kommentar eines durchschnittlichen Leserbriefschreibers: Neues, Forderndes, Perspektivisches. Und nicht zum x-ten Mal die Besorgnis, das Land sei „gespalten“.

Deutschland braucht eine neue Erzählung

Fragen mich Leute aus anderen Ländern, was in meinem Land los sei, verschweige ich nie die Probleme. Da gibt es ausreichend Stoff für lange Antworten. Angefangen von der großen Lüge der Automobilindustrie über unfaire Lebensbedingungen (nicht primär zwischen Ost und West, vor allem zwischen Stadt und Land). Stichworte für die Negation der ökonomischen und sozialen Erfolgsgeschichte Deutschlands werden tagtäglich frei Haus geliefert. Man muss sie nur abschreiben. Indes, daneben gibt es die bereits oben beschriebenen zahllosen Beispiele unbelohnter Taten. Wir leben in einem freundlichen Land; okay: hier mehr, dort weniger. Unser Land ist weltoffen. Die Züge sind zwar allzu oft unpünktlich, aber wir sitzen bequem in ihnen.

Deutschlandfahne im Hochkantformat - nicht für Nazis © Tom Rübenach
Flagge zeigen – auch als Nicht-Nazi bitte! © Tom Rübenach

Häufiger sollten wir wieder Freiheitslieder singen. Und uns selbst feiern. Gründe dafür gibt es zuhauf. Unsere liberale Demokratie, die Gewaltenteilung im Staat, die willkürfreie Justiz, die freie Meinungsäußerung sowie unsere von Staat und Regierung und Parteien unabhängigen Medien. Unser Verfassungsgericht nicht zu vergessen, wahrscheinlich das beste der Welt. In der SED-Diktatur war das Leben anders. Die DDR war ein Unrechtsregime. Die Nazis wollten alle Juden vernichten, haben Millionen von ihnen vergast. Sie führten brutale Kriege. Wer schwul war oder Sinti oder Roma, landete in den Konzentrationslagern. 

Lauter, offener, optimistischer sein

Jetzt gibt mehr als 80, 85% der Deutschen, die eben keine radikalen oder extremistischen Parteien wählen. Nur die Anhänger der AfD sind mit der Demokratie in Deutschland mehrheitlich unzufrieden. Das hat die Konrad Adenauer Stiftung in einer Studie ermittelt. Sogar die sogenannte „Linke“ ist es nur mit 19%. Begeisterung oder Zustimmung zur Demokratie – das hat auch mit den Erzählungen von Medien und Politik zu tun. Und mit deren Sprache; den Worten, die sie wählen, wenn sie über Deutschland sprechen.

Lobhudeleien werden nicht erwartet. Eigenlob ebenso wenig. Dennoch ist es Zeit, lauter und offener über die unschlagbaren Vorteile unserer liberalen Gesellschaft zu kommunizieren. Immer und immer wieder. Und die Alternativen dagegen zu setzen. Man muss nur die AfD ein einziges Mal zu Ende denken. Dann darüber laut und offen reden und schreiben. Und sie weniger in Talkshows oder zu Sommerinterviews einladen. Sie werden immer Opfer. Diese Rolle beherrschen sie perfekt. Was mir fehlt sind die lauten, offenen, optimistischen Demokraten. Die, die jede/r jederzeit hören und sehen kann – anstatt immer nur die alte Leier von der angeblich so gespaltenen Gesellschaft zu hören.

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